Tatbestand
Der 1956 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Schreiners und legte die Meisterprüfung ab. Nach Angaben der Firma H. A.
war der Kläger zuletzt als Meister mit der Gehaltsgruppe M1 versicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt.
Im Mai 2011 wurde dem Kläger vom C. , Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt, der ab Juni 2012 auf
50 erhöht wurde. Zugrunde lagen folgende Gesundheitsstörungen:
1. Chronisch venöse Insuffizienz, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes links, Knorpelschäden am Kniegelenk rechts, Funktionsstörung
durch Fußfehlform beidseits (Einzel-GdB 40).
2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 30).
3. Schwerhörigkeit beidseits, Ohrgeräusche beidseits (Tinnitus) (Einzel-GdB 10).
Am 05.08.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Leistung zur stationären medizinischen Rehabilitation. Diese wurde
bewilligt und der Kläger befand sich vom 24.09.2013 bis 15.10.2013 in der A.-Klinik in Bad S ... Im dortigen Entlassungsbericht
vom 05.11.2013 wurden als Diagnosen aufgeführt:
1. Chronisches LWS-Syndrom.
2. Cervicobrachial-Syndrom.
3. Impingement-Syndrom der Schulter.
4. Muskelkrankheit, nicht näher bezeichnet.
Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Umfang von täglich sechs Stunden
und mehr ausüben. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, ohne einseitige
körperliche Belastungen wie vornübergebeugte Körperhaltung, ohne Oberkörperrotationen und ohne Zwangshaltungen handeln. Aufgrund
dieser Einschränkungen sei er im Beruf des Schreiners nur noch unter drei Stunden einsatzfähig. Es liege Arbeitsunfähigkeit
vor, die Wegefähigkeit sei gegeben.
Daraufhin beantragte die zuständige Krankenkasse, die AOK Bayern, bei der Beklagten die Umdeutung des Rehabilitationsantrages
in einen Rentenantrag unter Einschränkung des Dispositionsrechts des Klägers.
Mit Bescheid vom 12.06.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
ab 01.10.2013 gemäß §
240 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI), wobei anfänglich ein monatlicher Betrag von 476,02 Euro gezahlt wurde. Eine weitergehende Rentengewährung wegen voller
Erwerbsminderung lehnte sie ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Der Kläger bezog in der Folgezeit allerdings weiter Krankengeld, auf das ein Erstattungsanspruch erhoben wurde. Nach Angaben
des Klägers wurden derartige Sozialleistungen bis Februar 2015 bezogen. Der Kläger gab auch an, dass von der zuständigen Berufsgenossenschaft
eine Berufskrankheit anerkannt sei. Die Bundesagentur für Arbeit teilte seinerzeit mit, dass sie vom 22.02.2015 bis 23.02.2017
Arbeitslosengeld bewillige und insofern Erstattungsansprüche der Beklagten berücksichtige.
Mit Schreiben vom 05.07.2014 legte der Kläger am 07.07.2014 Widerspruch gegen den Rentenbescheid ein, da er seit dem 30.10.2013
ununterbrochen krank sei. Er sei aufgrund seiner Erkrankung derzeit nicht leistungsfähig genug, um einer Beschäftigung nachzugehen.
Weiter trug der Kläger vor, dass der Arbeitsmarkt verschlossen sei; er sei Schreinermeister und berufe sich auf Berufsschutz.
Die Beklagte ließ ein Gutachten durch den Orthopäden Dr. Sch. erstellen, der den Kläger am 04.11.2014 untersuchte. Er beschrieb
1. ein rezidivierendes rechtsseitiges cervicobrachiales Syndrom bei kernspintomografisch festgestellten mäßigen degenerativen
Veränderungen im Segment C3/C4,
2. ein Impingement-Syndrom des rechten Schultergelenkes bei kernspintomografisch festgestellter Teilläsion der Supraspinatussehne,
3. rezidivierende tiefsitzende Kreuzschmerzen bei Fehlhaltung der LWS, mäßigen degenerativen Veränderungen und einer muskulären
Dysbalance mit pseudoradikulärer Ausstrahlung links sowie
4. eine mäßiggradige Chondropathia patellae links.
Der Kläger könne die Tätigkeit als Schreinermeister höchstens drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben.
Andere leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in temperierten, geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen, unterbrochen durch
zeitweises Stehen und Gehen, ohne Überkopfarbeiten rechts, ohne wiederholte Rumpf- und Kniebeugen sowie ohne wiederholtes
Heben von Lasten aus dem Kreuz oder aus den Knien heraus seien dem Kläger sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.
Die Beklagte ließ ergänzend ein weiteres Gutachten durch den Neurologen und Nervenarzt Dr. L. erstellen, der den Kläger am
25.02.2015 untersuchte. Aus Sicht seines Fachgebietes seien eine cervikale Nervenwurzelläsion sowie eine periphere Nervenerkrankung
oberer Extremitäten ausgeschlossen und Hinweise auf eine affektive Störung würden ebenso nicht gesehen. Auf nervenärztlichem
Fachgebiet liege kein krankhafter Befund vor. Die beratende Ärztin der Beklagten, Dr. D., kam in Auswertung der Unterlagen
am 09.04.2015 zum Ergebnis, dass beim Kläger qualitative Einschränkungen zu beachten seien, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
aber ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr bei Beachtung dieser Einschränkungen vorliege.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2015 den Widerspruch zurück. Auch die nochmaligen ärztlichen Beurteilungen
hätten keine Änderung der im Rentenverfahren bereits getroffenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung herbeigeführt. Der
Kläger könne eine Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
verrichten.
Mit einem auf den 04.08.2015 datierten Schreiben hat der Kläger am 05.08.2015 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Der Kläger hat geltend gemacht, dass der Sachverständige Dr. Sch. nicht alle Gesundheitsstörungen zutreffend erfasst
habe.
Das SG hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. D. am 05.10.2015 und Dr. B. am 08.10.2015 eingeholt.
Vor dem Verhandlungstermin am 28.01.2016 hat auf Veranlassung des SG der Orthopäde Dr. S. ein Gutachten erstellt. Er hat folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger beschrieben:
1. Fehlhaltungen im Bereich der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung in der oberen und unteren Wirbelsäule, Verschleißerscheinungen
und wahrscheinliche Bandscheibenschäden an der Halswirbelsäule mit Hinweisen auf Segmentinstabilität.
2. Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Engpasssyndrom und Läsionen an der Rotatorenmanschette.
3. Gefühlsstörungen im linken Kleinfinger sowie Teilverlust des rechten Zeigefingers.
4. Fußfehlform beidseits, Krampfadern an beiden Beinen ohne Stauungserscheinungen.
5. Asthmaleiden.
6. Zumindest Dysthymie mit Hinweisen auf eine chronische Schmerzstörung.
7. Schwerhörigkeit bei Versorgung mit Hörgeräten.
Der Kläger sei wegefähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er täglich mindestens sechs Stunden arbeiten. Vermieden werden
müssten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, schwere und mittelschwere Hebe- und Tragetätigkeiten, Zwangshaltungen,
Überkopfarbeiten mit dem rechten Arm, häufige bückende und kniende Arbeiten, häufiges Steigen, besondere Anforderungen an
die manuelle Geschicklichkeit und die Dauerbelastbarkeit beider Hände, besondere Anforderungen an das Hörvermögen sowie die
Einwirkung von Bronchialreizen. Ein Schutz vor Kälte, Nässe und Zugluft sollte gewährleistet sein.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist der Kläger am 15.07.2016 vom Orthopäden Prof. Dr. S. untersucht worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 18.07.2016
die wesentlichen Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:
1. Degeneratives Halswirbelsäulensyndrom mit Nervenreizerscheinungen und Muskelreizerscheinungen des rechten Armes.
2. Degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit Muskelreizerscheinungen.
3. Schulterteilsteife rechts bei Schädigung der Supraspinatussehne rechts und Arthrose des Schultereckgelenkes rechts und
links.
4. Beginnende Arthrose beider Hüftgelenke, CAM-Impingement (an der Hüfte) beidseits.
5. Beginnende Arthrose beider Kniegelenke.
6. Zustand nach Verlust Endglied linker Zeigefinger.
7. Krampfaderleiden des linken Beines.
Es bestehe der dringende Verdacht einer somatisierenden depressiven Verstimmung mit Ausprägung eines chronischen Schmerzsyndroms,
außerdem liege eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit vor.
Die gesundheitliche Verschlechterung im Hinblick auf das chronische Schmerzsyndrom und die depressive Verstimmung mit Somatisierung
sei ab Mai 2016 anzunehmen. Der Kläger sei in seiner Leistungsfähigkeit qualitativ eingeschränkt und nicht mehr in der Lage,
den Beruf eines Schreinermeisters oder Schreinergesellen auszuüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er nur noch für leichte
Arbeiten einsetzbar. Er sei nicht in der Lage, Arbeiten in Zwangshaltungen, bückende Tätigkeiten, Heben und Tragen von Lasten,
Überkopfarbeiten sowie kniende Tätigkeiten zu verrichten. Häufiges Treppensteigen oder Leitern- und Gerüstbesteigen seien
ebenfalls nicht möglich. Eine psychische Belastungsfähigkeit sei zu verneinen. Auch sei das Hörvermögen eingeschränkt. Aufgrund
der Summation der Gesundheitsstörungen, die den Haltungs- und Bewegungsapparat, die Psyche und das Hörvermögen betreffen würden,
sei der Kläger nur noch in der Lage eine Arbeitsleistung zu erbringen, die - ab Mai 2016 - auf drei bis vier Stunden arbeitstäglich
herabgesunken sei. Bei einer zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden seien zusätzliche Arbeitspausen
nicht erforderlich. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Eine neuropsychiatrische Zusatzbegutachtung sei zu empfehlen.
Die Beklagte hat entgegnet, dass die von Prof. Dr. S. vorgenommene Leistungsbeurteilung fachfremd erfolgt sei. Außerdem erfolge
beim Kläger keine nervenfachärztliche Behandlung, die zuerst einmal zu fordern wäre, bevor eine überdauernde Leistungsminderung
in Betracht kommen könne. Zudem sei ein eingeschränktes Hörvermögen im Bereich der Umgangssprache nicht zu beobachten gewesen.
Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme beim Chirurgen Dr. S. eingeholt, die dieser am 31.10.2016 erstellt hat: Die gesundheitliche
Situation auf nervenärztlichem Fachgebiet sei bisher unbehandelt und könne so nicht in die Beurteilung mit einbezogen werden.
Eine zeitliche Leistungseinschränkung beim Kläger auf unter sechs Stunden täglich sei nicht nachvollziehbar, zumal die Messwerte
auf orthopädischem Gebiet bei Prof. Dr. S. teilweise besser gewesen seien als bei seinen eigenen Untersuchungen. Er verbleibe
bei seiner sozialmedizinischen Einschätzung.
Der Kläger hat hierzu Stellung genommen und seine tägliche Schmerzbelastung als nicht ausreichend erfasst angesehen. Er müsse
täglich zweimal das Schmerzmittel Ibuflam 600 einnehmen. Er habe sich mittlerweile in nervenärztliche Behandlung bei Frau
Dr. B. begeben, wo er bereits in den Jahren 2007 und 2008 schon einmal in Behandlung gestanden habe. Im zugehörigen Arztbrief
der Neurologin Dr. B. vom 14.12.2016 werden aufgrund der Untersuchung vom 13.12.2016 als Diagnosen eine Parese des Nervus
peronaeus communis rechts und eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und physischen Faktoren angegeben. Es solle Krankengymnastik
und Elektrostimulation erfolgen.
Das SG hat am 16.02.2017 die Klage durch Urteil abgewiesen. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung sei nicht mit der
im Wege des Vollbeweises erforderlichen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben. Der Kläger leide vorrangig
an orthopädischen Gesundheitsstörungen und hier hätten sich in der Erhebung der Werte bei den Gutachtern Dr. Sch., Dr. S.
und Prof. Dr. S. Unstimmigkeiten ergeben, wie aus einer entsprechenden Übersichtstabelle zu ersehen sei. Aus den Feststellungen
der Orthopäden könne das Gericht keine erheblichen Funktionseinschränkungen beim Kläger feststellen, die es dem Kläger untersagen
würden, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Insoweit seien die
Schlussfolgerungen von Prof. Dr. S. für das Gericht keinesfalls nachvollziehbar. Hinzu komme, dass sich der Kläger nicht in
psychiatrischer Behandlung befinde und die chronische Schmerzstörung sowie der Verdacht auf eine somatisierende depressive
Verstimmung bisher völlig unbehandelt seien.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 06.04.2017 per Telefax Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG Nürnberg
sei zu Unrecht nicht der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. S. gefolgt. Dieser habe sich ausführlich mit den vom Kläger
dargestellten Schmerzempfindungen und weiteren Beeinträchtigungen befasst. Die Schmerzbeeinträchtigungen seien von den übrigen
Sachverständigen nicht ausreichend gewürdigt worden. Zusätzlich würde sich eine neue Bandscheibenprotrusion beim Kläger zeigen,
die von der behandelnden Neurologin in die Behandlung einbezogen werde. Es finde Schmerztherapie mit Akupunktur und Physiotherapie
statt.
Die Beteiligten haben im Folgenden angeregt, ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen. Der Senat hat am 16.10.2017
einen aktuellen Befundbericht beim Allgemeinmediziner Dr. D. eingeholt und ärztliche Unterlagen beigezogen. Danach seien die
Gesundheitsstörungen des Klägers unverändert und Arbeitsunfähigkeit liege seit Dezember 2016 vor. Beigefügt gewesen sind Unterlagen
über eine Behandlung in der Dermatologischen Klinik des Klinikums C-Stadt wegen Ekzemen an Händen und Füßen. In einem Arztbrief
der Dr. B. vom 05.04.2017 ist die mangelnde Mitarbeit des Klägers bedauert worden. Eine Lähmung im Nervus peronaeus habe sich
nicht mehr gefunden; eine Verlaufsuntersuchung solle in sechs Monaten erfolgen.
Der Senat hat ein Gutachten beim Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Dipl.-Psych. L. eingeholt. Dieser hat den Kläger
am 12.03.2018 untersucht und in seinem Gutachten vom 26.03.2018 dargelegt, dass eine psychiatrische Behandlung im eigentlichen
Sinn bisher nicht stattgefunden habe und eine wesentliche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger nicht habe festgestellt
werden können. Eine depressive Störung habe sich nicht nachweisen lassen. Die angegebene Nervenwurzelirritation L5 rechts
habe sicher keine Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ziehe
keine Leistungseinschränkungen nach sich, die nicht bereits mit den degenerativen Veränderungen berücksichtigt seien. Folgende
Gesundheitsstörungen seien zu benennen:
1. Fehlhaltungen im Bereich der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der oberen und unteren Wirbelsäule, Verschleißerscheinungen
der Halswirbelsäule mit Hinweisen auf Segmentinstabilität.
2. Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes bei Engpasssyndrom und Läsion an der Rotatorenmanschette.
3. Teilverlust des rechten Zeigefingers.
4. Fußfehlform, beidseits, Krampfadern an beiden Beinen ohne Stauungserscheinungen.
5. Asthmaleiden.
6. Schwerhörigkeit mit Hörgeräten versorgt.
Der Kläger könne unter Berücksichtigung der genannten Gesundheitsstörungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes noch täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein. Vermieden werden müssten schwere körperliche Tätigkeiten,
Akkordbedingungen, Fließbandarbeiten, Nachtschicht, Dauerbelastung an Maschinen, besondere Belastung des Bewegungs- und Stützsystems
wie häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken und Knien und Arbeiten in Zwangshaltungen. Außerdem solle keine
Tätigkeit an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen erfolgen. Ein Schutz vor Kälte, Nässe und Zugluft sowie das Vermeiden von Bronchialreizen
sollte gegeben sein. Auf nervenärztlichem Fachgebiet sei ambulante Therapie durchzuführen.
Der Kläger ist im Folgenden bei seiner Ansicht verblieben, dass aufgrund der festgestellten orthopädischen Beeinträchtigungen
und der Innenohrschwerhörigkeit die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vorliegen
würden.
Die Voraussetzungen der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind in einem Erörterungstermin vom 21.06.2018
ausführlich mit den Beteiligten besprochen worden. Die Beteiligten haben am 06.07.2018 bzw. am 13.07.2018 ihr Einverständnis
mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß §
124 Abs.
2 SGG erklärt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.06.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2015 zu verurteilen, Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2017 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des Zentrums
Bayern Familie und Soziales Bezug genommen.
Der Senat entnimmt dies den Gutachten des Dr. Sch. und des Dr. S. auf orthopädischem Fachgebiet und des Dr. med. Dipl.-Psych.
L. auf nervenärztlichem Fachgebiet. Der vom Orthopäden Prof. Dr. S. geäußerten sozialmedizinischen Einschätzung, wonach der
Kläger auch in zeitlichem Umfang eingeschränkt sei, folgt der Senat nicht. Stärkere Auswirkungen der Einschränkungen des Hörvermögens
sind schon in qualitativer Hinsicht nicht vorhanden, ein Einfluss auf das quantitative Einsatzvermögen - wie von Prof. Dr.
S. im Sinne eines Zusammenwirkens angenommen - ist in keiner Weise nachvollziehbar. Die für ihn fachfremden psychischen Einschränkungen
einschließlich der Schmerzwahrnehmung werden von Prof. Dr. S. ebenfalls deutlich überbewertet, wie das nachfolgende Fachgutachten
des Dr. med. Dipl.-Psych. L. gezeigt hat. Hinzu kommt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts psychische
Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant
und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann
- weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R, BayLSG Urteil vom 24.05.2017 - L 19 R 1074/14, jeweils zitiert nach juris). Beim Kläger sind jedoch die Behandlungsmöglichkeiten auf psychiatrischem, psychotherapeutischen
und schmerztherapeutischen Fachgebiet bei weitem nicht ausgeschöpft, nachdem diesbezüglich nur sporadische ambulante Arztkontakte
bei einer Neurologin bestehen. Schließlich äußert sich Prof. Dr. S. selbst insoweit unklar, als er teilweise von einem bis
zu 4-stündigen Leistungsvermögen spricht, dann aber eine Einschränkung auf unter 3 Stunden täglich annimmt.
Zwar kann in bestimmten Ausnahmefällen zusätzlich eine Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung auch erfolgen, wenn -
wie im Fall des Klägers - eine relevante quantitative Einschränkung seines Leistungsvermögens an geeigneten Arbeitsplätzen
nicht besteht. Dazu müssten allerdings die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten sog. Katalogfall erfüllt sein, was hier nicht der Fall ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - nach juris) ist bei der Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen,
ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden,
wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen.
Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen
Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt
die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls
eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret
zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner a.a.O., Stand September 2016,
Rn 37 mwN).
Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,
da sämtliche Arbeitsfelder als grundsätzlich geeignet anzuführen wären. Außerdem stellen die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen
sich nicht als schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit und auch nicht als Summierung
von ungewöhnlichen Einschränkungen dar. Es liegen Einschränkungen der Arbeitsbedingungen vor, wie sie vielfach bei körperlich
und psychisch beeinträchtigten Erwerbstätigen anzutreffen sind, und auch die Sinneswahrnehmung ist nur in geringem Maß eingeschränkt.
Der Kläger ist auch nicht gehindert, einen eventuellen Arbeitsplatz zu erreichen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist nach übereinstimmender
ärztlicher Darlegung ausreichend und öffentliche Verkehrsmittel können benutzt werden.
Dementsprechend sind die Entscheidungen der Beklagten, die einen Rentenanspruch des Klägers lediglich wegen teilweiser Erwerbsminderung
bei Berufsunfähigkeit als belegt ansehen und einen weitergehenden Antrag zurückweisen, nicht zu beanstanden.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 16.02.2017 als unbegründet zurückzuweisen.