Zulässigkeit der vorläufigen Leistungserbringung durch einen Orthopädie-Techniker bei der Abgabe von Hilfsmitteln zur Stomaversorgung
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragsgegner vorläufig zu verpflichten sind, der Antragstellerin über den
31.12.2009 hinaus zu gestatten, die Versicherten der Antragsgegner weiterhin zu versorgen, ohne jedoch einen Stomatherapeuten
anstellen oder einen Mitarbeiter zur Weiterbildung zum Stomatherapeuten anmelden zu müssen.
Die Antragstellerin betreibt ein Sanitätshaus in A-Stadt und ist Mitglied des Fachverbandes für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel
Bayern e.V. Seit 1989 versorgt sie im Jahr durchschnittlich 40 Stomapatienten. Dies geschieht auf der Grundlage des ab 01.11.1981
gültigen Rahmenvertrages über die Versorgung mit orthopädischen Heil- und Hilfsmitteln Die Versorgungen werden durch den Orthopädie-Technikmeister
oder durch ausgebildete Krankenschwestern bzw. Pfleger vorgenommen. Die Antragstellerin beschäftigt keinen Stomatherapeuten
und könne keinen Mitarbeiter zu einer Fortbildung zum Stomatherapeuten abstellen.
Den Vertrag von 1981 kündigten die Antragsgegner zum 31.12.2008 und boten der Antragstellerin an - sofern bis 01.01.2009 kein
neuer Vertrag nach § 127 Abs.1 und 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V geschlossen sein sollte - die Versorgung der Versicherten zu
den Bedingungen des gekündigten Vertrages weiterhin durchzuführen. Bis 30.04.2009 hat die Antragstellerin in unverändertem
Umfang Leistungen der Stomaversorgung an die Versicherten der Antragsgegnerinnen erbracht und auf der Basis der bis 31.12.2008
vertraglich vereinbarten Preise abgerechnet.
Nachdem die Antragsgegner gemeinsam feststellten, dass die Ausschreibung von Verträgen für die Stomaversorgung nicht zweckmäßig
sei, haben sie nach §
127 Abs.2 Satz 2
SGB V ihre Absicht, für diesen Bereich Verträge zu schließen, am 26.08.2008 im Internet öffentlich bekannt gegeben. Mit dieser
Bekanntmachung wurde auch ein Vertragsentwurf der Antragsgegner veröffentlicht.
Gegenstand des Vertragsentwurfes ist die Versorgung der Versicherten der Krankenkassen mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen,
die für die Stomaversorgung mit Stomaartikeln des Hilfsmittelverzeichnisses nach §
139 SGB V benötigt werden (§
1). Er sieht vor, dass der Leistungserbringer eine qualitätsgesicherte Stomaversorgung für die Versicherten der Krankenkasse
gemäß der Anlage 1 leistet (§ 4).
Weiter sieht die Anlage 2 des Vertragsentwurfes vor, dass die nach diesem Vertrag erbrachte Leistung durch eine Monatspauschale
vergütet wird, die nicht nur den Monatsbedarf an Hilfsmitteln abdecken soll, sondern auch die Beratungsleistungen mit vergüte
(§ 2).
Am 09.02.2009 schlossen die Antragsgegner mit der E.-Service GmbH einen Vertrag nach §
127 Abs.2
SGB V über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen für Stoma-Therapie (Folgen: Stomavertrag), entsprechend des bekannt
gemachten Vertragsentwurfes. Bis zum 25.03.2009 wurden weitere 41 Verträge mit einzelnen Leistungserbringern geschlossen.
Am 22.03.2009 ließ die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erheben und u.a. vortragen, die Regelungen über das Erfordernis und die Anstellung eines Stomatherapeuten sei nichtig, jedenfalls
rechtswidrig. Die Klausel sei von §
127 SGB V rechtlich nicht gedeckt. Bei ihr handele es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen. Auf die Klausel sei daher gemäß §
69 Satz 1
SGB V, §
307 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) entsprechend anzuwenden. Weiter werde durch die Klausel unzulässig in das System der Festpreisregelungen nach §
36 SGB V eingegriffen. Es sei den Antragsgegnern nicht erlaubt, die Festbetragsregelung durch Veränderung der Parameter, die dem Festbetrag
zugrunde liegen, auszuhebeln. Auch verletze die Klausel den Grundsatz der Beitragsstabilität (§
71 SGB V).
Mit Urteil vom 01.04.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und sich der Auffassung der Antragsgegner angeschlossen.
Gegen das Urteil des SG vom 01.04.2009 richtet sich die beim erkennenden Senat unter dem Az.: L 4 KR 200/09 anhängige Berufung, mit der die Antragstellerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, da der erkennende Senat die Durchführung von Ermittlungen zu dem Berufsbild
des Stomatherapeuten im Vergleich zum Orthopädietechniker-Meister für erforderlich hält.
Am 07.12.2009 hat die Antragstellerin beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung,
die Antragsgegner zu 1) bis 4) zu verpflichten, der Antragstellerin über den 31.12.2009 hinaus bis zur rechtskräftigen Entscheidung
des Berufungsverfahrens unter dem Az.: L 4 KR 200/09 zu gestatten, die Versicherten der Antragsgegner mit Hilfsmitteln und Verbandsmitteln zur Stomaversorgung nach Maßgabe des
Vertrages der Beklagten "über die Versorgung mit Hilfsmitteln und Verbandsstoffen zur Stoma-Therapie" (Zeichen der Beklagten
(AC/TK 1502607) zu versorgen, jedoch ohne einen Stomatherapeuten anzustellen oder einen Mitarbeiter zur Weiterbildung zum
Stomatherapeuten anzumelden.
Die Antragsgegner beantragen sinngemäß,
den Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Beigezogenen Akten sowie der Schriftsätze
Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag erweist sich als überwiegend begründet.
Nach §
86b Abs.2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (§
86 Abs.2 Satz 2
SGG). Eine solche Regelungsanordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus (§
86b Abs.2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Die Antragstellerin hat den Anordnungsgrund nach §
86b Abs.2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.2
ZPO glaubhaft gemacht. Denn die Antragstellerin hat wesentliche Nachteile dargelegt, zu deren Abwendung der Erlass einer einstweiligen
Anordnung notwendig wäre. Derzeit versorgt die Antragstellerin gemäß §
126 Abs.2
SGB V ohne Stomatherapeuten nach der Übergangsregelung, die mit dem 31.12.2009 endet. Nach diesem Zeitpunkt ist die Antragstellerin
nicht mehr zur Versorgung berechtigt. Die Antragsgegnerin zu 1) schreibt über dies bereits ihre Versicherten an, teilt ihnen
mit, dass die Antragstellerin ab 01.01.2010 nicht mehr zur Versorgung berechtigt ist. Die Antragstellerin würde ihre Stomapatienten
ab 01.01.2010 verlieren, wenn sie nicht mehr zumindest übergangsweise zur Versorgung berechtigt ist. Daraus kann auch folgen,
dass die Patienten nicht mehr nur wegen der Stomaartikel das Sanitätshaus wechseln, sondern dann erfahrungsgemäß für sämtliche
weiteren Leistungen auch. Der dadurch der Antragstellerin möglicherweise entstehende wirtschaftliche Schaden ist nicht absehbar.
In dem entstehenden wirtschaftlichen Schaden und dem damit verbundenen Verlust der Kunden liegt der wesentliche Nachteil,
den die Antragstellerin erleiden würde, wenn nicht eine vorläufige Regelung getroffen wird. Insgesamt liegt somit Eilbedürftigkeit
vor.
Bezüglich der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs ist festzuhalten, dass der Senat weitere Ermittlungen im Hauptsacheverfahren
für erforderlich hält. Von daher kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden, ob das Begehren der
Antragstellerin erfolgreich ist oder nicht.
Somit waren die Antragsgegnerinnen bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens, längstens jedoch bis 30.06.2010, vorläufig zu
verpflichten.
Die Entscheidung bezüglich des Streitwerts richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).