Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Berücksichtigung einer Heizkostennachzahlung bei
Überschreitung der Angemessenheitsgrenze
Tatbestand:
Im Streit steht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Betriebskostenabrechnung.
Laut Mietvertrag vom 6. März 1998 hatte die Klägerin für ihre Wohnung eine als Kostenmiete bezeichnete Nettokaltmiete von
870,45 DM zu zahlen zuzüglich einer Betriebskosten- und Warmwasserkostenumlage in Höhe von 87,05 DM. Nach § 6 Nr. 9 des Mietvertrages
sollte bei Heizungsanlagen, die mit der zentralen Warmwasserversorgungsanlage verbunden seien, die Aufteilung der Kosten der
Versorgung mit Wärme und Warmwasser entsprechend den gesetzlichen Vorschriften erfolgen. Die Wohnung verfügt über einen eigenen
strombetriebenen Warmwassererzeuger. Die Klägerin hat deshalb ihrem Vermieter keine Zahlungen für Warmwasser zu leisten. Aus
den Betriebskostenabrechnungen ergibt sich, dass die Heizkosten zu 50% als Grundkosten nach dem Quadratmeteranteil der Wohnung
und zu 50% "" nach Verbrauch (Stricheinheiten) berechnet werden.
In ihrem ersten Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II vom 6. November 2004 gab die Klägerin die Höhe der aktuell
anfallenden Miete mit 445,00 € sowie 44,04 € Heizkostenpauschale und 44,07 € monatlich Nebenkosten an.
Aufgrund der Erklärung über die Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlungen des Vermieters vom 6. November 2005 erhöhten sich
die Betriebskostenvorauszahlungen von bislang 44,51 € auf 78,00 € pro Monat. Die Vorauszahlungen für die Heizung betrugen
statt 44,51 € nunmehr 41,00 €. Die Grundmiete blieb mit 445,00 € unverändert.
Der Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 19. Juni 2006 darauf hin, dass ihre Miete die Richtwerte nach den Berliner
Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung (AV-Wohnen) überstiegen. Die Beklagte wies mit Antwortschreiben
vom 29. Juni 2006 darauf hin, das sie sich selbständig gemacht habe und im Wohnbereich einen Arbeitsplatz mit ca. 10 m² eingerichtet
habe.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2006 mit der Überschrift "Bescheid über die Absenkung der Kosten für Unterkunft" teilte der Beklagte
der Klägerin mit, dass die Kosten in bisheriger Höhe nur bis 31. Januar 2007 anerkannt und übernommen würden.
Die Klägerin erhob am 15. August 2006 Widerspruch. Sie habe aufgrund ihrer Berufstätigkeit einen erhöhten Bedarf an Fläche.
Sie teile sich auch mit einer andern im Haus tätigen Freiberuflerin Fax, Kopierer und Internetanschluss, was Kosten einspart.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2006 wies der Beklagte diesen Widerspruch zurück. Die Wohnung koste bruttowarm
564,06 €. Angemessen sei nach der AV-Wohnen nur eine Bruttowarmmiete von 360,00 €. Selbst wenn 10 m² des Arbeitsbereiches
berücksichtigt würden, entspräche dies einer anteiligen Miete von nur 94,91 €. Die Kosten für Wohnung beliefen sich dann immer
noch auf 466,80 €. Die Klägerin nahm die dagegen erhobene Klage (Sozialgericht Berlin S 107 AS 9778/06) zurück, nachdem ihr das Sozialgericht (SG) mitgeteilt hatte, es liege kein anfechtbarer Verwaltungsakt vor.
Der Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 22. Dezember 2006 insgesamt 884,05 € Arbeitslosengeld II monatlich für den Zeitraum
1. Februar 2007 bis 31. Juli 2007 sowie mit weiterem Bescheid vom selben Tag für die Zeit vom 1. August 2007 bis 31. Oktober
2007.
Mit Änderungsbescheid vom 23. Februar 2007 sprach das JobCenter für den Monat März 2007 insgesamt 1.297,78 € zu, davon anerkannte
Kosten für Unterkunft und Heizung 968,78 € zu sowie für 1. April 2007 bis 31. Juli 2007 insgesamt 884,05 € monatlich, darin
anerkannte monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung 555,05 €. Grund für die erhöhte Zahlung im März war die Übernahme
der Betriebskostenabrechnung 2005. Aufgrund der eingereichten Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2006 bewilligte der Beklagte
mit Änderungsbescheid vom 19. Juni 2006 für den Monat Juni 2007 1.593,16 € sowie für den Monat Juli 2007 886,05 €. Für Juli
2007 wurden dabei 555,05 € als zustehende Kosten für Unterkunft und Heizung berücksichtigt.
Unter dem 19. Juli 2007 übersandte der Beklagte der Klägerin erneut ein Anhörungsschreiben zur Überschreitung der Brutto-Warmmieten
nach der AV-Wohnen.
Mit Mitteilungsschreiben vom 9. Juli 2007 teilte das JobCenter mit, dass die tatsächlichen Aufwendungen nur noch für einen
Zeitraum von längstens 6 Monaten, nämlich bis zum 31. Oktober 2007 anerkannt und übernommen würden.
Mit Bewilligungsbescheid vom 27. September 2007 setzte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. November 2007 bis 30.
April 2008 auf insgesamt 691,00 € fest, darin Kosten für Unterkunft und Heizung 360,00 € monatlich. Ein gleicher Bescheid
erging am selben Tag für den Zeitraum 1. Mai 2008 bis 31. Oktober 2008. Mit Änderungsbescheid vom 26. Oktober 2007 bewilligte
er ferner für den Monat Juli 2007 insgesamt 902,05 €, bei unveränderten Kosten für Unterkunft und Heizung von 555,05 €. Ein
weiterer Bescheid von diesem Tag erging mit entsprechender Regelung für den Zeitraum 1. August 2007 bis 31. Oktober 2007.
Mit weiterem Änderungsbescheid von diesem Tag bewilligte er für die Zeit 1. November 2007 bis 30. April 2008 707,00 €, darin
Kosten für Unterkunft und Heizung von 360,00 € monatlich. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 2. November 2007 bewilligte der
Beklagte für den Zeitraum 1. November 2007 bis 30. April 2008 als Kosten für Unterkunft und Heizung 353,47 €. Zur Begründung
heißt es, die Kürzung der Miete werde auf den 1. Februar 2008 verschoben. Damit habe die Klägerin dann nach Mitteilung der
geplanten Absenkung sechs Monate Zeit gehabt, sich nach einer angemessenen Wohnung umzusehen.
Die Klägerin legte gegen die Bescheide vom 27. September 2007 am 5. Oktober 2007 Widerspruch ein. Mit Änderungsbescheid vom
2. November 2007 bewilligte der Beklagte schließlich für die Zeit vom 1. November 2007 bis 30. April 2008 monatlich 904,52
€, darin enthaltene Kosten für Unterkunft und Heizung 557,52 €. Die Kürzung der Miete werde auf den 1. Februar 2008 verschoben.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2007 zurück. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft
ging das JobCenter dabei davon aus, dass der Widerspruch durch den Änderungsbescheid unzulässig geworden sei.
Mit Änderungsbescheid vom 11. Dezember 2007 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 1. Februar 2008 bis 30. April 2008 ebenfalls
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 557,52 € monatlich. Die "Mietsenkung" erfolge erst zum 1. Mai 2008.
Ende des Jahres 2008 erhielt die Klägerin für ihre Mietwohnung die Betriebs- und Heizkostenabrechnung für den Zeitraum 1.
Januar 2007 bis 31. Dezember 2007. Am 5. Januar 2009 beantragte sie die Übernahme der Nachzahlung der Nebenkosten für das
Jahr 2007 in Höhe von 700,51 € und reichte dazu die Abrechnung der Hausverwaltung vom 29. Dezember 2008 ein.
Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 19. Februar 2009 ab. Die tatsächlichen Kosten seien - wie bereits mit Schreiben
vom 9. Juli 2007 mitgeteilt, letztmalig bis zum 30. April 2008 übernommen worden.
Die Klägerin erhob am 12. März 2009 Widerspruch. Da die Nebenkostenabrechnung das Jahr 2007 beträfe, läge sie im Zeitraum
vor der Kürzung.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 zurückgewiesen. Durch die Betriebskostennachzahlung erhöhten
sich lediglich die bereits unangemessenen tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Da deren Höhe bereits auf einen
im Sinne von § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) als angemessen erachteter Betrag begrenzt sei, sei die Nebenkostennachforderung
ebenfalls als unangemessen anzusehen.
Hiergegen richtet sich die am 7. Mai 2009 beim SG erhobene Klage.
Mit Urteil vom 12. Juli 2009 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. April
2009 verpflichtet, die Betriebskostennachforderung für das Abrechnungsjahr 2007 in Höhe von 700,51 € zu übernehmen. Die Klägerin
habe zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nebenkostennachforderung einen Grundanspruch auf SGB II-Leistungen gehabt. Als Bestandteil
der Unterkunftskosten sei die Betriebs- und Heizkostennachforderung deshalb zu übernehmen. Der Beklagte könne sich nicht auf
die von ihm für maßgebend gehaltene AV-Wohnen berufen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 19.09.2008 (B 14 AS 54/07 R) herausgestellt, dass auch eine Senkung der Heizkosten nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II erfolgen
dürfe, dass heißt im Rahmen eines Absenkungsverfahrens mit einer Übergangsfrist von bis zu sechs Monaten. Aus dieser Rechtsprechung
könne geschlossen werden, dass eine rückwirkende Absenkung von Mietnebenkosten nicht zulässig sei. Genau darauf liefe jedoch
die Ablehnung der Nachforderung hinaus. Überdies dürfe die Absenkung der Unterkunftskosten auf einen festen Bruttowarmmietbetrag
nicht aufgrund einer bloßen Verwaltungsvorschrift erfolgen. Zur Pauschalierung von Betriebs- oder Heizkosten sei nur der Verordnungsgeber
befugt, welcher aber von der Ermächtigung in § 27 SGB II noch keinen Gebrauch gemacht habe. Deshalb müssten (alle) Mietnebenkosten
übernommen werden, soweit sie im konkreten Einzelfall angemessen seien.
Der Beklagte hat gegen die Nichtzulassung der Berufung Beschwerde eingelegt. Es stellte sich die Frage, ob die Nachforderung
von Betriebs- und Nebenkosten von den Leistungsträgern auch dann zu übernehmen sei, wenn die Kosten der Unterkunft und Heizung
zwar zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung bereits abgesenkt seien, dies aber in dem Zeitraum, der die Nachforderung
betreffe, noch nicht der Fall gewesen sei. Die Frage müsse verneint werden. Bei der Übernahme einer Nachforderung als Kosten
der Unterkunft und Heizung handele es sich nicht um die Deckung eines zurückliegenden Bedarfes, sondern nur um die eines gegenwärtigen.
Hier sei weiter die Absenkung der Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin auch bestandskräftig. Die Übernahme weiterer
Kosten wäre deshalb nicht mehr angemessen.
Mit Beschluss vom 8. September 2009 hat der Senat die Berufung zugelassen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Im Erörterungstermin am 16. November 2009 sind die Beteiligten auf die Absicht, im Beschlusswege nach §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu entscheiden, hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Beschlusswege nach §
153 Abs.
4 SGG entscheiden. Er hält einstimmig die Berufung für unbegründet. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich.
Der Beklagte muss die Betriebskosten- und Heizkostennachzahlung für das Jahr 2007 als Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß
§ 22 Abs. 1 SGB II übernehmen.
Das SG hat die vom Beklagten aufgeworfene Frage bereits zutreffend verneint. Auf die Begründung wird gemäß §
153 Abs.
2 SGG entsprechend Bezug genommen.
Richtig hat es zunächst ausgeführt, dass ein Nachzahlungsverlangen des Vermieters zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat
gehört (so jetzt auch ausdrücklich BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R - Rn. 16). Es hat weiter richtig § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II angewendet. Danach sind die Aufwendungen für die Unterkunft,
welche dem im Einzelfall angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem Hilfebedürftigen
oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für
6 Monate. Das BSG hat in der vom SG angeführten Entscheidung vom 19. September 2008 (B 14 AS 54/07 Rn. 22) ausgeführt, dass diese Vorschrift auch für die Heizungskosten gilt, obwohl nach dem Wortlaut nur von der Unterkunft
die Rede ist. Auch der hier entscheidende Senat folgt dieser Auffassung. Die Vorschrift enthält nämlich eine Zumutbarkeitsregelung,
mit der verhindert werden soll, dass der Leistungsberechtigte sofort bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit gezwungen ist, seine
bisherige Wohnung aufzugeben. Für eine Übergangszeit wird dem Hilfebedürftigen der räumliche Lebensmittelpunkt auch bei unangemessenen
Kosten erhalten. Zu dem Grundbedürfnis Wohnen, das von § 22 SGB II geschützt wird, gehört nicht nur die bestimmte Räumlichkeit,
sondern auch eine angemessene Raumtemperatur (so wörtlich BSG, aaO.). Zur geschützten Räumlichkeit in diesem Sinne gehören,
wie das SG richtig ausgeführt hat, auch die Gebrauchsvorteile, für welche die sonstigen Betriebskosten aufgebracht werden müssen. Zum
Wohnen gehört beispielsweise, dass die Wohnung über ein beleuchtetes Treppenhaus erreichbar ist und die Wasserversorgung funktioniert.
Akzeptiert die Behörde die Kosten der Unterkunft als angemessen, kann der Leistungsberechtigte davon ausgehen, dass die Kosten
der Unterkunft in vollem Umfang übernommen werden (BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 29). Maßgeblich ist, ob der Betroffene die Aufwendungen senken kann bzw. konnte. Rückwirkend können bereits entstandene
Verpflichtungen (Nettokaltmiete, nicht beeinflussbare Betriebskosten) und bereits erfolgter Verbrauch (Verbrauchsabhängige
Heiz- und andere Kosten wie Wasserkosten) nicht mehr gesenkt werden. Die Kosten für Unterkunft und Heizung entstehen zeitabschnittbezogen
für die jeweilige aktuelle Nutzung, auch wenn der Vermieter diese erst später abrechnet und Nachforderung erst später fällig
werden.
Die Klägerin konnte also darauf vertrauen, dass im gesamten Jahr 2007 sowohl die Nettokaltmiete, als auch die so genannten
kalten Betriebskosten wie die warmen übernommen würden. Daraus folgt, dass das JobCenter alle im Jahr 2007 tatsächlich entstandenen
Kosten übernehmen muss, auch wenn die - wie hier bezüglich der streitgegenständlichen Betriebskosten- und Heizkostennachforderung
- erst zu einem Zeitpunkt fällig gewesen ist (hier frühestens Januar 2009), an welchem sich möglicherweise eine Unangemessenheit
der Wohnung herausgestellt hat.
Dass die Klägerin auf die Angemessenheit der Wohnungskosten vertrauen durfte, ergibt sich aus den Bewilligungsbescheiden.
Erst ab April 2008 sollte nach Auffassung des Beklagten die Klägerin genug Zeit gehabt haben, sich um Alternativen bemüht
zu haben.
Angesichts der Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide im Jahr 2007 kann hier dahingestellt bleiben, ob und welche Rechtswirkungen
der bestandskräftige Bescheid vom 12. Juli 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2006 als Verwaltungsakte
(noch) entfaltet hat. Jedenfalls für den Zeitraum 2007 ist dieser in seiner etwaigen rechtsgestaltenden Wirkung durch die
genannten Bewilligungsbescheide bzw. Änderungsbescheide wieder aufgehoben worden.
Ob die Miete und die Heizkosten der Klägerin für ihre Wohnung tatsächlich unangemessen sind, braucht hier nicht entschieden
zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 SGG.
Die Revision ist nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage ist für eine Vielzahl von Fällen relevant.