SGB-II-Leistungen
Kosten der Unterkunft und Heizung
Einstweiliger Rechtsschutz
Fehlende Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes
Angemessenheit von Mietaufwendungen
Gründe
Das Rubrum war von Amts wegen um den minderjährigen Antragsteller zu 2) zu ergänzen, da dieser seine Ansprüche nur eigenständig,
allerdings gesetzlich vertreten durch seine Mutter, die Antragstellerin zu 1), geltend machen kann.
Die am 10. Oktober 2005 beim Sozialgericht Kassel eingegangene Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 6. September 2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
abzulehnen,
hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Beschwerde ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit die Antragsgegnerin die Aufhebung des Beschlusses des
Sozialgerichts Kassel für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2006 begehrt. Für diesen Zeitraum hat die Antragsgegnerin
mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. November 2005 Leistungen bewilligt. Die Bewilligung einer bestimmten Leistung (durch
Erlass eines Verwaltungsaktes) schließt das Verwaltungsverfahren ab (vgl. §§ 8, 31 SGB X), so dass eine Rückforderung des Betrages regelmäßig nur bei Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen (Rücknahme,
Widerruf - §§ 44 ff. SGB X) möglich ist. Bei bestandskräftigem Abschluss des Verwaltungsverfahrens kommt eine vorläufige Regelung in einem Eilverfahren
nicht mehr in Betracht (Beschluss des erkennenden Senats vom 11. August 2005 - L 9 AS 14/05 ER). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die "Bewilligung" nach der Begründung des Bescheides in Umsetzung des Beschlusses
des Sozialgerichts einstweilen zunächst bis zur Entscheidung des Sozialgerichts im Hauptsacheverfahren bzw. bis zur Entscheidung
des Hessischen Landessozialgerichts im Beschwerdeverfahren erfolgt (Beschluss des erkennenden Senats vom 22. November 2005
- L 9 AS 68/05 ER). Die "Bewilligung" ist dann nur als vorläufige Leistung zu werten (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl. 2005, §
86b Rdnr. 49, 22). Im vorliegenden Fall enthält der Bescheid vom 21. November 2005 keinen dahingehenden Vorbehalt.
Die im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet, soweit das Sozialgericht die Antragsgegnerin zur Übernahme der auf die
Antragsteller entfallenden Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe ab dem 1. Juni 2006 verpflichtet hat. Insoweit fehlt es
an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Beschluss
des Senats vom 22. September 2005 - L 9 AS 47/05 ER; Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rdnr. 117). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen
Nachteilen zu bejahen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl. 2005, §
86 b Rdnr. 28). Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsteller in eine derartige Notlage geraten könnten, falls ihnen Leistungen
für die Zeit ab 1. Juni 2006 nicht sofort bewilligt werden. Die Eilbedürftigkeit ist daher im gegenwärtigen Zeitpunkt zu verneinen.
Soweit sich die Antragsgegnerin gegen die Verpflichtung zur Übernahme der auf die Antragsteller entfallenden Unterkunftskosten
in tatsächlicher Höhe für die Zeit vom 22. August 2005 bis einschließlich 30. November 2005 wendet, ist die Beschwerde begründet,
soweit die Antragsgegnerin zur Übernahme der 336,47 EUR übersteigenden Unterkunftskosten verpflichtet wurde.
Nach § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie
als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein
stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel,
durch Vermieten [bzw. Untervermieten] oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für
sechs Monate.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft ist nach der Rechtsprechung des Senats nicht
auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare
Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage
eine Mietpreisspanne zu ermitteln. Dabei ist die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten von Amts wegen zu ermitteln. Die
Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) kann weder zur Begründung der Angemessenheit der Mietaufwendungen, noch als Orientierungshilfe, auch nicht im Eilverfahren,
herangezogen werden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 13. Dezember 2005 - L 9 AS 48/05 ER -). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an Darlegungen der Antragsgegnerin zur Angemessenheit der Mietaufwendungen.
Die Antragsgegnerin beruft sich zur Frage der Angemessenheit lediglich auf die Wohngeldtabelle zu § 8 WoGG. Darüber hinaus ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach der Besonderheit des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. dazu Berlit
in: LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, § 29 Rdnr. 25). Hier besteht die Besonderheit, dass die Antragsteller mit der querschnittsgelähmten Schwester der Antragstellerin
zu 1) in häuslicher Gemeinschaft leben. Die Antragsgegnerin wird daher die Angemessenheit der Unterkunftskosten für vergleichbaren
Wohnraum zu ermitteln haben. Bis zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft sind die Aufwendungen in tatsächlicher
Höhe zu übernehmen.
Eine Verpflichtung zur Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten durch die Antragsgegnerin besteht allerdings nur für
die sozialhilferechtlich angemessene Wohnungsgröße. Zur Frage der Angemessenheit der Wohnungsgröße hat der Senat unter Zugrundelegung
der Hessischen Richtlinien zum sozialen Wohnungsbau für eine Person bis 45 m2, für zwei Personen bis 60 m2 und für jede weitere Person 12 m2 als angemessen erachtet (Beschluss vom 13. Dezember 2005 s.o.). Danach ergibt sich für die beiden Antragsteller und die mit
ihnen zusammen wohnende Schwester der Antragstellerin zu 1) insgesamt ein Unterkunftsbedarf von 72 m2. Die 88 m2 große Wohnung überschreitet diese Grenze, wobei zusätzlicher behinderungsbedingter Bedarf für die Schwester der Antragstellerin
zu 1) anzunehmen sein wird. Dabei handelt es sich aber nicht um Unterkunftsbedarf der Antragsteller, so dass die Unterkunftskosten
nur anteilig für 72 m2 (davon 2/3 für die Antragsteller des vorliegenden Verfahrens) zu berücksichtigen sind. Unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten
einschließlich Nebenkosten in Höhe von 616,86 EUR für die 88 m2 große Wohnung ergibt sich ein Betrag von 504,70 EUR für die angemessene Wohnfläche von 72 m2. Davon entfallen 2/3 = 336,47 EUR auf die Antragsteller. Die diesen Betrag übersteigende Verpflichtung der Antragsgegnerin
war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Nach dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens entspricht die hälftige Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Billigkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).