Umfang des Übergangs von Unterhaltsansprüchen auf den Träger der öffentlichen Hilfe
Tatbestand:
Der Beklagte ist der eheliche Vater der Kinder M., geb. 03.09.1982, L., geb. 09.01.1984, Ma., geb. 10.04.1986 und Mo., geb.
25.04.1988.
Die Kinder leben bei ihrer Mutter. Der Beklagte lebt seit Jahren von seiner Ehefrau getrennt. Die Stadt S. nimmt mit vorliegender
Klage den Beklagten aus gemäß 7 UVG, übergegangenem Recht für die Zeit vom 01.08.1995 bis 28.02.1998 in Anspruch. In dieser Zeit konnten lediglich im Jahre 1997
durch Abzweigungen aus einem Umschulungsentgelt 5.345,78 DM realisiert werden. Die Klägerin macht mit ihrer Klage den Kindesunterhalt
für das Kind L. bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres, also vom 01.08.1995 bis 08.01.1996, sowie den Kindesunterhalt für
Ma. und Mo. in der Zeit vom 01.08.1995 bis 28.02.1998 geltend. Sie beziffert die Unterhaltsansprüche jeweils mit dem Mindestunterhalt
bei Verrechnung mit dem jeweiligen hälftigen staatlichen Erstkindergeld. Sie errechnet somit folgenden geschuldeten Unterhalt:
01.08.95 - 31.12.95 = 5 Mon. x 313,00 DM x 3 Kinder =
4.770,00 DM
01.01.96 - 08.01.96 = 8/30 von 318,00 DM = (L.) 86,40 DM
01.01.96 - 31.12.96 = 12 Mon. x 324,00 DM x 2 Kinder =
7.776,00 DM
01.01.97- 31.12.97 = 12 Mon. x 314,00 DM x 2 Kinder =
7.536,00 DM
01.01.98 - 28.02.98 = 2 Mon. x 314,00 DM x 2 Kinder =
1.256,00 DM
21.424,40 DM
./. Zahlungen in 1997 (Abzweigungen) = 5.3.45,78 DM
16.078,62 DM.
Der Beklagte hat Leistungsunfähigkeit eingewandt. In seinem erlernten Beruf als Schlosser könne er infolge einer - unstrittig
vorhandenen und durch ärztliches Attest belegten - Handgelenkserkrankung nicht mehr arbeiten. Er habe zwei Umschulungen zum
Reiseverkehrskaufmann versucht, diese jedoch in einem Falle wegen Fehlens einer geeigneten Ausbildungsstelle nicht aufgenommen,
im anderen Falle wieder abgebrochen. Aus der stattdessen aufgenommenen selbständigen Tätigkeit als Provisionsvertreter bei
der Firma V. und später im Bereich der Altkleidersammlung habe er jeweils kaum seinen eigenen notwendigen Bedarf bestreiten
können.
Mit Urteil vom 19.06.1998 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Regensburg den Beklagten zu folgenden Zahlungen verurteilt:
a) für die am 09.01.1984 geborene L. E. und den Zeitraum vom 01.08.1995 bis zum 08.01.1996 1.676,40 DM
b) für den am 10.04.1986 geborenen Ma. E. und den Zeitraum vom 01.08.1995 bis zum 28.02.1998 7.201,11 DM
c) für den am 25.04.1988 geborenen. Mo. E. und die Zeit vom 01.08.1995 bis zum 28.02.1998 7.201,11 DM
Das Amtsgericht erachtete die Bemühungen des Beklagten um Arbeit für unzureichend. Er könne sich deshalb nicht auf unverschuldete
Leistungsunfähigkeit berufen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung.
Er beantragt, das Urteil des Amtsgericht - Familiengericht - Regensburg vom 19.06.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte wiederholt seinen Sachvortrag zur Leistungsunfähigkeit und stellt die Bemühungen um Arbeit nochmals, teilweise
ausführlicher dar. Wegen der Einzelheiten seines Sachvortrags wird auf den Schriftsatz vom 23.09.1998 verwiesen.
Die Klägerin beantragt die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat dem Beklagten aufgegeben, seine Einkünfte in den Zeiten der Selbständigkeit näher darzulegen. Er hat ferner
auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.03.1998 (NJW 1998, Seite 2219 ff. = FamRZ 1998, Seite 818 ff.) zu der Frage des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger und eine mögliche Anwendbarkeit der Grundsätze dieser
Entscheidung auf den Anspruchsübergang nach § 7
UVG hingewiesen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.11.1998 hat der Beklagte seine Tätigkeiten näher dargelegt und seine Bezüge aus Arbeitslosengeld
und -hilfe durch Vorlage von Bezügemitteilungen belegt. Die Klägerin bestreitet die Erklärungen des Beklagten zu seinen Verdiensten
und Arbeitsbemühungen, soweit sie nicht durch Unterlagen belegt wurden. Nach ihrer Ansicht sei § 91 Abs. 2
BSHG nicht auf die Vorschriften des UVG übertragbar.
Entscheidungsgründe:
Auf die zulässige Berufung des Beklagten ist das Endurteil des Amtsgericht - Familiengericht- Regensburg vom 19.06.1998 aufzuheben
und die Klage abzuweisen, da der Beklagte in den geltend gemachten Zeiträumen zu weiteren Unterhaltsleistungen tatsächlich
nicht in der Lage war. Nach Ansicht des Senats gehen Unterhaltsansprüche der Kinder, die nur auf - wegen der erweiterten Unterhaltspflicht
der Eltern gemäß §
1603 Abs.
2
BGB - fiktiv zuzurechnenden Einkünften beruhen, in Anwendung des Rechtsgedankens des § 91 Abs. 2
BSHG nicht nach § 7
UVG auf den Träger der Hilfegewährung über.
Der Beklagte war in dem Zeitraum August 1995 bis Februar 1998 über die abgezweigten Unterhaltsleistungen hinaus nicht leistungsfähig.
Im übrigen wäre der Kindesunterhalt nur aus einem Einkommen geschuldet, das im Hinblick auf ein erzielbares Einkommen als
Reiseverkehrskaufmann mit 2.400,00 DM monatlich bemessen werden könnte. Damit sind in jedem Falle die von der Klägerin begehrten
Unterhaltsbeträge zu hoch, da sämtliche vier Kinder des Beklagten minderjährig und damit gleichrangig sind. Zudem wäre das
staatliche Kindergeld für die fraglichen Zeiträume nach dem Kindergeldzufluß für vier Kinder anteilig zu bemessen.
Auch in dieser verringerten Höhe kann die Klägerin Unterhaltsansprüche jedoch nicht geltend machen, da die Ansprüche der Kinder
gemäß §§
1601 ff.
BGB nicht auf die die Unterhaltsleistungen vorschießende Klägerin übergegangen sind. Der Beklagte war nämlich in dem fraglichen
Zeitraum zu weiteren Unterhaltsleistungen aufgrund seines erzielten Einkommens nicht in der Lage:
Der Beklagte hat in der Zeit von August 1995 bis 28.10.1995 Arbeitslosenhilfe bezogen, belegt für die Dauer von 9 Wochen über
einen Betrag von 2.513,40 DM. Er hat in dieser Zeit eine Umschulung zum Reiseverkehrskaufmann angestrebt, jedoch nicht angetreten,
da er nach seinen Angaben keine Ausbildungsstelle gefunden habe.
In der Zeit von Ende 1995 bis Mitte 1996 war der Beklagte als Provisionsvertreter der Firma V. tätig und erzielte, auch bedingt
durch eine Erkrankung, kaum genügend, um seinen Lebensunterhalt decken zu können. Er hat diese Einkünfte durch Vorlage der
Gewinnermittlung seines Steuerberaters für das Jahr 1995 und durch die Abrechnungen des Jahres 1996 belegt.
Vom 16.04. bis 19.10.1996 bezog er Arbeitslosenhilfe von monatlich ca. 1.117,00 DM und lebte im übrigen von der Unterstützung
von Freunden.
Von Ende Oktober 1996 bis September 1997 schulte er zum Reiseverkehrskaufmann um und erhielt Umschulungsgeld. Hiervon hat
die Klägerin unstrittig die abzweigbaren Beträge für den Unterhalt der Kinder in Höhe von 5.345,78 DM erhalten, die sie bei
der Berechnung der Unterhaltsklage bereits berücksichtigt hat. Für weitere Leistungen war er in dieser Zeit nicht leistungsfähig.
Im Oktober 1997 erhielt er nach Abbruch der Umschulung ein Arbeitslosengeld von monatlich 1.062,00 DM, alsdann in der Aufbauphase
der von ihm angestrebten-selbständigen Tätigkeit in dem Bereich der Altkleidersammlung einen staatlichen Zuschuß von monatlich
1.000,00 DM. Aus der selbständigen Tätigkeit erzielte er nach seinen Angaben keinen Verdienst.
Damit war der Beklagte, soweit nicht bereits Abzweigungen erfolgten, in dem gesamten dargestellten Zeitraum aufgrund der erzielten
Einkünfte, die der Senat aufgrund der vorgelegten Belege und der Erklärungen des Beklagten für nachgewiesen erachtet, zu Unterhaltszahlungen
für seine Kinder nicht in der Lage. Es mag sein, daß er seinen Kindern aus der erweiterten Unterhaltspflicht des §
1603 Abs.
2
BGB unterhaltspflichtig ist. Derartige Ansprüche der Kinder sind jedoch nach Ansicht des Senats nicht nach § 7
UVG auf den Träger der Hilfeleistung übergegangen, da die Unterhaltspflicht nur aus fiktiven Einkünften hergeleitet werden kann.
Ein Anspruchsübergang findet jedoch nur insoweit statt, als der Unterhaltspflichtige durch die Unterhaltsleistung nicht selbst
nach den Bestimmungen des BSHG hilfebedürftig würde (so BGH, Urteil vom 11.03.1998, aaO., für § 91
BSHG). Der Senat sieht in § 91 Abs. 2
BSHG einen allgemeinen Grundsatz des Sozialrechts, zu dem auch die Regeln des UVG gehören. Das UVG soll Schwierigkeiten begegnen, die alleinstehenden Elternteilen und ihren Kindern entstehen, wenn der andere Elternteil,
bei dem das Kind nicht lebt, sich der Pflicht zur Zahlung von Unterhalt ganz oder teilweise entzieht oder zur Zahlung nicht
oder in nicht hinreichendem Maße in der Lage ist. Es soll den alleinstehenden Elternteil, der über die Unterhaltsfrage hinaus
mit der persönlichen Betreuung typischerweise in besonderem Maße belastet ist, entlasten (so BGH vom 03.07.1996, FamRZ 1996,
Seite 1203, 1205). In dieser Entscheidung stellt der BGH auch heraus, daß Unterhaltsvorschuß wie Sozialhilfe bei Vorliegen der gesetzlichen
Voraussetzungen. grundsätzlich ohne Rückerstattungsverpflichtung gewährt werden und mit dem gesetzlichen Übergang der Unterhaltsansprüche
auf den Sozialleistungsträger diesem die Verantwortung für den Unterhaltsprozeß zugewiesen wird.
Diese Verantwortung umfaßt nach Ansicht des Senats nicht nur bei Gewährung von Sozialhilfe (§ 91
BSHG), sondern auch bei der Unterhaltsgewährung nach UVG die Prüfung der Belange des Unterhaltspflichtigen.
Zwar enthält 7 UVG im Gegensatz zu § 91 Abs. 2
BSHG keine Einschränkung hinsichtlich des Anspruchsübergangs, auch hat der Gesetzgeber weder im Zusammenhang mit der Neufassung
des § 91
BSHG noch des § 7
UVG hinsichtlich der in der Rechtsprechung strittig gewordenen Frage der Rückübertragung übergegangener Ansprüche eine dem §
91 Abs. 2
BSHG vergleichbare Regelung in das UVG aufgenommen. Auch wird die Auffassung vertreten, daß das UVG anders als das BSHG keine umfassende Abwägung der finanziellen Lage aller Beteiligter fordert und die Bestimmungen des Sozialrechts nur für den
Unterhaltsberechtigten gelten (so OLG Köln, FamRZ 1998, Seite 175, 177, ferner Niepmann, Aktuelle Entwicklungen im Familienrecht, MDR 1998, Seite 1256).
Der Senat erachtet es mit Scholz (in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Auflage,
§ 6, Rdnrn. 576 und 525) als allgemeinen Grundsatz des Sozialhilferechts, daß niemand durch die Erfüllung einer Unterhaltspflicht
selbst sozialhilfebedürftig werden darf, was auch aus Art.
1 Abs.
1
GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art.
20
GG herzuleiten ist. Der Senat sieht in den Leistungen nach dem UVG Sozialleistungen, wobei lediglich die Bedürftigkeit des betreuenden Elternteils nicht geprüft wird. Auch spricht die Tatsache,
daß aufgrund desselben Sachverhaltes neben- oder nacheinander sowohl Leistungen nach dem UVG als auch nach dem BSHG gewährt werden können, für eine Gleichbehandlung des Anspruchsübergangs nach beiden Gesetzen. Durch die Beschränkung des
UVG auf den Mindestunterhalt und die zeitliche Beschränkung der Leistungen nach dem UVG auf 72 Monate ergibt sich nicht selten ein Nebeneinander der Leistungen nach beiden Gesetzen, im vorliegenden Fall auch aufgrund
des verschiedenen Alters der Kinder.
Der Senat sieht sich nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BGH vom 22.10.1997, FamRZ 1998, Seite 357 ff., die Niepmann für ihre Ansicht, daß die Einschränkung des § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG für den Anspruchsübergang nach § 7
UVG nicht gelte, heranzieht. Der BGH hat nämlich dort zwar geprüft, ob schutzwürdige Belange des Schuldners einer gewillkürten
Prozeßstandschaft im Falle einer Abtretung künftiger Unterhaltsansprüche bei zu erwartender Weitergewähr von Leistungen nach
dem UVG entgegenstehen. Er hat sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob im Falle einer späteren Hilfeleistung der Anspruch
nicht übergegangen wäre, weil der Unterhaltsschuldner selbst hilfebedürftig würde. Nach Ansicht des Senats kann somit aus
diesem Urteil nicht entnommen werden, daß der BGH im Falle des § 7
UVG von einen von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners unabhängigen Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger ausgegangen
ist. Hingegen hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 03.07.1996 (FamRZ 1996, Seite 1204) die Vorschriften des UVG nach den allgemeinen sozialhilferechtlichen Grundsätzen und dem SGB beurteilt. Der Senat meint daher, daß dies auch für die
Frage des Anspruchsübergangs nach § 7
UVG gelten muß.
Da der Beklagte in dem fraglichen Zeitraum zu den eingeklagten Unterhaltsforderungen nur bei Annahme fiktiver Leistungsfähigkeit
in der Lage war, war die Klage somit insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§
91,
97
ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§
708 Nr. 10,
711
ZPO.
Gemäß §§ 621 d Abs. 1,
546 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1
ZPO war die Revision zuzulassen.