Gründe:
Mit dem Hilfsantrag ist die Klage begründet, weil der Bescheid des Integrationsamtes beim Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Widerspruchsausschusses beim Beklagten rechtswidrig ist und die Klägerin in ihrem Recht auf ermessenfehlerfreie Entscheidung
über ihren Antrag verletzt.
Nach §
114 Satz 1
VwGO prüft das Gericht, wenn die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ob die Ablehnung des Verwaltungsakts
rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck
der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Letzteres ist hier gegeben.
Der ablehnende Bescheid des Integrationsamtes des Beklagten in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses
beim Integrationsamt des Beklagten gefunden hat, stützt die Ablehnung der Zuschussgewährung ausschließlich darauf, dass Geldleistungen
zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten Ermessensleistungen seien,
um behinderungsbedingte, arbeitsplatzbezogene Defizite im Wissen und bei Grundfertigkeiten auszugleichen und den tätigkeitsbezogenen
Kenntnisstand auszubauen, und eine finanzielle Förderung der Ausbildung in einem neuen Beruf über die Intention des Nachteilsausgleichs
für schwerbehinderte Menschen hinausgehe, weil ihnen dadurch gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern, die einen Lehrgang
mit vergleichbarem Inhalt besuchten und mangels eines Anspruchs auf finanzielle Förderung aus eigenen Mitteln finanzieren
müssten, ein wirtschaftlicher Vorteil verschafft werde.
Eine in dieser Weise doppelt eingeschränkte Zielrichtung (Ausgleich lediglich der behinderungsbedingten und nur der arbeitsplatzbezogenen
Defizite) kommt den der Zuschussgewährung zugrundeliegenden Regelungen jedoch nicht zu.
Für eine Beschränkung auf Maßnahmen, die der Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten im erlernten
und/oder ausgeübten Beruf dienen, wohl VG Freiburg, Urteil vom 24.10.2006 - 5 K 2446/04 -, Behindertenrecht 2007, 118 ff.
Zur Umschreibung der begehrten Hilfe verwendet §
102 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB IX nicht den Begriff des "Arbeitsplatzes", sondern den weiten Begriff des "Arbeitslebens". Nach §
102 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB IX obliegt dem Integrationsamt "die begleitende Hilfe im Arbeitsleben"; nach Abs. 3 Satz 1 der genannten Bestimmung kann es
"im Rahmen seiner Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln auch
Geldleistungen erbringen", und zwar "insbesondere" gemäß Nr. 1 an schwerbehinderte Menschen "e) zur Teilnahme an Maßnahmen
zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten ... ". Der Wortlaut der genannten Bestimmung setzt nicht
voraus, dass ein "Arbeitsplatz" i.S.d. §
73 Abs.
1 SGB IX vorliegt, vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.2003 - 5 C 13.02 -, BVerwGE 119, 200 ff. (zu den bis zum 30.6.2001 geltenden Regelungen der §§ 31 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 f, 7 Abs. 1 SchwbG, die den seither geltenden und hier anzuwendenden Normen - §§ 102 Abs. 1 Nr.
3, Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 e,
73 Abs.
1 SGB IX - inhaltlich entsprechen), geschweige denn, dass der schwerbehinderte Mensch einen solchen inne hat; den Einzelregelungen,
insbesondere auch Nr. 1 Buchstabe c ("zur Gründung und Erhaltung einer selbständigen beruflichen Existenz"), ist nicht zu
entnehmen, dass das Vorliegen eines Arbeitsplatzes i.S.d. §
73 Abs.
1 SGB IX bzw. die Versorgung mit einem solchen generell rechtliche Voraussetzung oder Ziel einer Hilfe durch Geldleistungen wäre;
in den Fällen gemäß Buchstabe c) liefe dies dem ausdrücklichen Hilfeziel der beruflichen Verselbständigung sogar eindeutig
zuwider.
Auch in der Systematik der Bestimmung der "Aufgaben des Integrationsamtes" (§
102 SGB IX) kommt eine Begrenzung der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben auf Hilfen, die auf einen konkreten, bereits innegehabten oder
in Aussicht stehenden Arbeitsplatz bezogen sind, nicht zum Ausdruck. Soweit nach Absatz 2 Satz 2 dieser Bestimmung darauf
hingewirkt werden soll, dass schwerbehinderte Menschen auf "Arbeitsplätzen" beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten
und Kenntnisse voll verwerten und weiterentwickeln können sowie befähigt werden, "sich am Arbeitsplatz ... zu behaupten",
und soweit nach Absatz 2 Satz 3 dieser Bestimmung die Zuständigkeit des Integrationsamtes auch für befristete Voll- und für
Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse von mindestens 15 Stunden wöchentlich und damit gerade unabhängig von den nach §
73 Abs.
3 SGB IX engeren Voraussetzungen für einen Arbeitsplatz bestimmt, lässt dies nicht den Schluss zu, dass damit generell für alle in
Absatz 3 unter Nr.
1 ausdrücklich genannten Formen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben vom Arbeitsplatzbegriff des §
73 SGB IX auszugehen wäre.
Die Beschränkung der Förderung schwerbehinderter Menschen durch die Integrationsämter auf arbeitsplatzbezogene Hilfen ergibt
sich auch nicht aus den Aufgaben, die die Bundesagentur für Arbeit nach §
104 SGB IX im Bereich der Förderung schwerbehinderter Menschen hat. Wie schon die Regelung des §
102 Abs.
5 Satz 1
SGB IX erkennen lässt, wonach Verpflichtungen anderer durch die Absätze 3 und 4 nicht berührt werden, geht das Gesetz selbst davon
aus, dass sich die einzelnen Leistungskataloge der Leistungsträger inhaltlich überschneiden können. Für schwerbehinderte Menschen
gelten nicht nur die speziell für sie geschaffenen Regelungen. Einschlägig sind vielmehr auch diejenigen Leistungsbestimmungen,
die allgemein zugunsten behinderter Menschen Fördermaßnahmen, etwa durch die Bundesagentur für Arbeit, ermöglichen, die die
berufliche Qualifizierung betreffen und damit auch schwerbehinderte Menschen erfassen, die im Besitz eines Arbeitsplatzes
sind (vgl. §§
5 Nr.
2, 6 Abs.
1 Nr.
2, 7, 33 ff.
SGB IX sowie speziell im Bereich der Arbeitsförderung §§
97,
98,
100 und
103 SGB III). Die sich hieraus u.a. für den Bereich der beruflichen Qualifizierung ergebende Konkurrenz zwischen Ansprüchen gegen die
Bundesagentur für Arbeit und das jeweilige Integrationsamt wird im Rahmen der Zuständigkeit durch die Zuständigkeitsbestimmung
nach §
102 Abs.
6 i.V.m. §
14 SGB IX sowie materiell durch das Gebot der engen Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Integrationsämtern
(§
102 Abs.
2 Satz 1
SGB IX) und durch die Vorschrift des §
102 Abs.
5 SGB IX geregelt. Gemäß §
102 Abs.
5 Satz 2 2. Halbsatz
SGB IX findet eine Aufstockung (der Leistung der Rehabilitationsträger) durch Leistungen des Integrationsamtes nicht statt. Diese
Regelung wäre überflüssig, wenn eine materielle Konkurrenz von Ansprüchen schwerbehinderter Menschen gegen die Bundesagentur
für Arbeit einerseits und gegen das jeweilige Integrationsamt andererseits schon auf der Ebene der Aufgabenzuweisung ausscheiden
würde.
Auch eine Beschränkung der Hilfe auf den Ausgleich lediglich der unmittelbar behinderungsbedingten Nachteile (hier etwa Hilfen
zum Ausgleich der sich aus der Hörschädigung der Klägerin ergebenden Nachteile) ist nicht gegeben. § 24 SchwbAV schließt die Förderung allgemeiner Fortbildungsmaßnahmen zugunsten schwerbehinderter Menschen nicht aus. Danach können schwerbehinderte
Menschen, die an Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Erhaltung und Erweiterung ihrer beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten
teilnehmen, Zuschüsse bis zur Höhe der ihnen durch die Teilnahme an diesen Maßnahmen entstehenden Aufwendungen erhalten. Soweit
§ 24 Satz 1 SchwbAV "vor allem" auf die "besonderen Fortbildungs- und Anpas-sungsmaßnahmen, die nach Art, Umfang und Dauer den Bedürfnissen dieser
schwerbehinderten Menschen entsprechen," verweist, handelt es sich nur um eine Heraushebung der "vor allem" förderungswürdigen
Maßnahmen, jedoch nicht um einen Ausschluss der sonstigen Maßnahmen. Hinsichtlich der Eignung der zu fördernden Maßnahme der
beruflichen Bildung gilt nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 SchwbAV lediglich die allgemeine - nicht arbeitsplatzbezogene - Leistungsvoraussetzung, dass durch die Leistung die Teilhabe am Arbeitsleben
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Abgesehen davon ermöglicht § 24 Satz 2 SchwbAV allgemein die Erbringung von Hilfen auch zum beruflichen Aufstieg, ohne inhaltliche Beschränkungen aufzuweisen.
Vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 5.7.2006 - 12 A 2228/06 -.
Die danach rechtsfehlerhafte Verengung des Ermessensspielraums durch das Integrationsamt bzw. den Widerspruchsausschuss beim
Integrationsamt des Beklagten kann auch nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, eine finanzielle Förderung der Ausbildung
in einem neuen Beruf gehe über die Intention des Nachteilsausgleichs für schwerbehinderte Menschen hinaus, weil ihnen dadurch
gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern, die einen Lehrgang mit vergleichbarem Inhalt besuchten und mangels eines Anspruchs
auf finanzielle Förderung aus eigenen Mitteln finanzieren müssten, ein wirtschaftlicher Vorteil verschafft werde. Dabei wird
außer Acht gelassen, dass gerade auch die Qualifizierung von Schwerbehinderten über die jeweils ggf. ausgeübte berufliche
Tätigkeit hinaus und die damit verbundene Steigerung der Attraktivität dieser Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt in besonderem
Maß geeignet ist, die sich aus der jeweiligen Behinderung ergebenden vielfältigen Nachteile dauerhaft zu reduzieren. Deshalb
eröffnet § 24 Satz 2 SchwbAV die Möglichkeit, Hilfen auch zum beruflichen Aufstieg zu erbringen, ohne inhaltliche Beschränkungen aufzuweisen.
Auf die Abteilungsverfügung und die "Vereinbarung" zwischen dem Beklagten und dem Leiter des S. Berufskollegs für Hörgeschädigte
in F. von Mai 2006 kann im Rahmen der Ermessensprüfung nicht abgestellt werden. Auf die - nicht datierte - Abteilungsverfügung
des Beklagten hat der Widerspruchsausschuss seine Entscheidung ersichtlich nicht gestützt; auch hat er offenkundig die "Vereinbarung"
zwischen dem Beklagten und dem Leiter des S. Berufskollegs für Hörgeschädigte in F. von Mai 2006 nicht zur Grundlage seiner
Ermessensentscheidung machen können.
Ein Nachschieben dieser Regelungen als Gründe des angefochtenen Versagungsbescheides kommt nicht in Betracht. Die Frage der
Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen hat das BVerwG in ständiger Rechtsprechung bejaht, wenn die nachgeschobenen Gründe
bereits bei dem Erlass des Verwaltungsakts vorlagen und durch sie nicht der Verwaltungsakt in seinem Wesen geändert oder der
Betroffene in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.1959 - V C 162.56 -, Buchholz 436.6 § 14 SchwBG Nr. 3; OVG NRW, Beschluss vom 25.9.2007 - 12 A 1243/07 -.
Ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind, erscheint zumindest zweifelhaft. Die genannte Vereinbarung aus Mai 2006 hat ersichtlich
nicht bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vorgelegen. Anders dürfte dies bei der - allerdings undatierten
- Abteilungsverfügung sein, bei der alles dafür spricht, dass sie bereits im Jahr 2005, für das sie sich Geltung beimisst,
auch erlassen worden ist.
Indes gelten nach der Rechsprechung des BVerwG die o.g. Grundsätze über das Nachschieben von Gründen im Schwerbehindertenrecht
nur eingeschränkt, wenn der Bescheid von einem Ausschuss erlassen worden ist, der - wie auch hier (vgl. §§
118 f.
SGB IX) - nicht nur aus Bediensteten der betreffenden Behörde besteht. In einem derartigen Fall, so das BVerwG, könne nicht mit
Sicherheit festgestellt werden, wie die Ermessensentscheidung des Ausschusses ausgefallen wäre, hätte dieser Gelegenheit zur
Beurteilung der Gründe gehabt; ansonsten würde das Gericht sein eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens
setzen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.6.1968 - V B 174.67 -, Buchholz 436.6 § 14 SchwbG Nr. 6; Urteil vom 15.4.1959 - V C 162.56 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 25.9.2007 - 12 A 1243/07 -.
Diese Rechtsprechung ist ohne weiteres auf die Bewilligung von Leistungen nach der SchwbAV zu übertragen, da auch in diesen Fällen über den Widerspruch der Widerspruchsausschuss und nicht der Beklagte entscheidet.
Dies schließt zugleich einen Rückgriff auf die im Subventionsrecht entwickelte Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Subventionsrichtlinien,
vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2002 - 3 C 53.01 -, StuGR 2002, 32 f., aus, zumal die Hilfen für Schwerbehinderte in ihrer gesetzlich und durch Verordnung geregelten Zielrichtung
- anders als die mit Subventionsrichtlinien verfolgten Förderzwecke - keinen wechselnden und zeitlich begrenzten staatlichen
Einflussnahmen ausgesetzt sind, denen durch eine flexible, am Regelungszweck orientierte Einbeziehung von Verwaltungsvorschriften
in die gerichtliche Prüfung Rechnung zu tragen ist.
Aus §
114 VwGO, insbesondere aus §
114 Satz 2
VwGO, ergibt sich schon deshalb keine andere rechtliche Bewertung, weil der Widerspruchsausschuss auf dessen Ermessensbetätigung
es entscheidend ankommt, weder als Vertreter des Beklagten noch auf andere Weise in das jeweilige verwaltungsgerichtliche
Verfahren eingebunden ist. Auf hypothetische Erwägungen, wie der Widerspruchsausschuss entschieden hätte, kann es deshalb
nicht ankommen.
Unabhängig davon ermöglicht §
114 Satz 2
VwGO lediglich die Ergänzung von Ermessenserwägungen. Ein völliges Auswechseln der Ermessensgrundlage, wie hier durch die Einführung
der Abteilungsverfügung und der Vereinbarung von Mai 2006, liegt außerhalb dieses Rahmens.
Der Beklagte wird daher unter Zugrundelegung des erweiterten Ermessenrahmens über den Antrag der Klägerin erneut zu befinden
haben. Dabei können im Rahmen der Ermessensbetätigung selbstverständlich auch die - im Einzelfall konkret festgestellten -
finanziellen Beschränkungen Berücksichtigung finden, die sich aus der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Fördermittel
ergeben. Allerdings wird eine Regelung der Verwaltungspraxis, die den durch § 24 SchwbAV verbindlich vorgegebenen bundesrechtlichen Ermessensrahmen generell einschränkt, indem sie etwa entgegen § 24 Abs. 2 SchwbAV sämtliche Maßnahmen, die dem beruflichen Aufstieg dienen, von vornherein aus der Förderung herausnimmt (wie Nr. 4 Satz 2
der "Abteilungsverfügung zu Fördermaßnahmen nach § 24 SchwbG") hierdurch nicht gedeckt.