Sozialhilferecht: Begriff des Härtefalls i.S. von § 26 S. 2 BSHG, Student im Examen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin in der Zeit vom 01. Oktober 1986 bis zum 30. November 1986 Hilfe zum Lebensunterhalt
nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) als Zuschuß oder nur als Darlehen zugestanden hat.
Am 29. September 1986 sprach die Klägerin, die seinerzeit Studentin der Erziehungswissenschaften war, beim Sozialamt der Beklagten
vor und erkundigte sich nach den Möglichkeiten, bis zum Abschluß ihres Studiums Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zu bekommen. Anläßlich dieser Vorsprache legte sie eine Reihe von Unterlagen vor, aus denen sich ergab, daß ihr Studium der
Sonderpädagogik bis zum Ablauf des 30. September 1986 nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert wurde, die Ausbildungsförderung jedoch wegen des Erreichens der Förderungshöchstdauer auslief. Was im einzelnen
zwischen der Klägerin und der Sachbearbeiterin im Sozialamt besprochen wurde, ist zwischen den Beteiligten streitig. Die Klägerin
erhielt einen als "Bestätigung" bezeichneten Vordruck mit folgendem Wortlaut ausgehändigt:
"Für den Fall, daß die von mir in Anspruch genommene laufende Leistung zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer
gewährt wird, ist das Sozialamt berechtigt, von mir den Ersatz des Sozialhilfeaufwandes zu verlangen.
Text des § 15b BSHG i. d. F. des 2. Haushaltsstrukturgesetzes:
"Darlehen bei vorübergehender Notlage Sind laufende Leistungen zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer zu
gewähren, können Geldleistungen als Darlehen gewährt werden."
Ich bestätige durch meine Unterschrift, daß mir die Bestimmung des § 15b des BSHG bekannt gegeben und mir mitgeteilt wurde, daß die Sozialhilfezahlung als Darlehen erfolgt."
Am 01. Oktober 1986 gab die Klägerin die "Bestätigung" unterschrieben beim Sozialamt der Beklagten ab und beantragte Hilfe
zum Lebensunterhalt. Dem von der Klägerin bei Antragstellung vorgelegten Schreiben des wissenschaftlichen Prüfungsamtes für
das Lehramt an Sonderschulen (Erste Staatsprüfung) in F vom 14. August 1986 ist zu entnehmen, daß sich die Klägerin zur erziehungswissenschaftlichen
Hauptprüfung angemeldet hatte und daß der Abgabetermin der wissenschaftlichen Hausarbeit am 18. Februar 1987 sein sollte.
Für den Monat Oktober 1986 erhielt die Klägerin 747,50 DM Hilfe zum Lebensunterhalt.
Gemäß einem Vermerk, den die Sachbearbeiterin im Sozialamt der Beklagten am 24. Oktober 1986 gefertigt hat, hat die Klägerin
am 01. Oktober 1986 im Sozialamt vorgesprochen und die Gewährung von Sozialhilfe in Form eines Darlehens beantragt. Ferner
heißt es in dem Vermerk, die Hilfebedürftigkeit werde ab dem 01. Oktober 1986 vorerst für ein Jahr anerkannt. Die gewährte
Sozialhilfe sei von der Klägerin zu erstatten (vgl. Blatt 27 der Behördenakte).
Mit Bescheid vom 20. Oktober 1986 wurde der Klägerin ab 01. November 1986 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von monatlich
862,04 DM bewilligt. Der Bescheid enthielt den Hinweis, daß die Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen gewährt werde. Mit
Schreiben vom 06. November 1986 teilte das Sozialamt der Beklagten der Klägerin mit, daß ihrem Antrag auf Sozialhilfe für
die Zeit vom 01. Oktober 1986 bis zum 28. Februar 1987 in Form eines Darlehens entsprochen worden sei. Zugleich wurde die
Klägerin gebeten, den beigelegten Darlehensvertrag unterschrieben zurückzusenden.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. November 1986 Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen den Bezug der Sozialhilfeleistungen
als Darlehen wandte. Sie wies darauf hin, daß ihr Leistungsbezug voraussichtlich nicht von kurzer Dauer sein werde, da die
letzten Prüfungen erst im Mai 1987 stattfinden würden und sie mit einer Stelle als Referendarin frühestens im November 1987
rechnen könne.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 erläuterte das Sozialamt der Beklagten der Klägerin, daß sie auf die Gewährung von Hilfe
zum Lebensunterhalt nach § 26 Satz 2 BSHG keinen Rechtsanspruch habe, da eine besondere Härte in ihrem Falle nicht vorliege. Die angebotene Hilfeleistung auf Darlehensbasis
stelle ein Entgegenkommen dar, um ihr den bevorstehenden Studienabschluß zu ermöglichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 1987 - zugestellt am 06. April 1987 - wies der Landkreis G den Widerspruch der Klägerin
zurück und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe keinen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, da eine besondere
Härte im Sinne des § 26 Satz 2 BSHG bei ihr nicht vorgelegen habe. Um der Klägerin jedoch den im Frühjahr 1987 anstehenden Studienabschluß zu ermöglichen, sei
ihr als Entgegenkommen der Beklagten eine Zahlung der Sozialhilfe auf Darlehensbasis bis zum Studienabschluß angeboten worden.
Eine rechtliche Verpflichtung habe nach dem BSHG nicht bestanden.
Mit am 06. Mai 1987 beim Verwaltungsgericht Gießen eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung
vorgetragen, mit Bescheid vom 01. Oktober 1986 sei ihr Sozialhilfe ohne Einschränkungen ausgezahlt worden. Erst mit dem Bescheid
vom 20. Oktober 1986 habe die Behörde auf die angeblich darlehensweise Gewährung hingewiesen. Eine darlehensweise Bewilligung
sei rechtswidrig, da in dem Bescheid vom 20. Oktober 1986 keinerlei Ermessenserwägungen zu erkennen seien, ob Hilfe auch durch
ein kurzfristiges Darlehen wirksam gewährt werden könne und ob dies ausreichend sei, um ihre - der Klägerin - Notlage zu beseitigen.
Auch die Auffassung im Widerspruchsbescheid, die Sozialhilfe sei ohne Rechtsgrundlage lediglich im Interesse der Klägerin
ausgezahlt worden, sei nicht richtig. Sozialhilfemittel hätten an sie nur ausgezahlt werden dürfen, soweit ein Anspruch nach
§ 26 BSHG zu bejahen sei. Die Auszahlung lasse also auf das Vorliegen des § 26 BSHG schließen, was nicht rückwirkend durch den Widerspruchsbescheid verneint werden könne.
Die Klägerin hat beantragt,
die Bescheide des Magistrats der Stadt G vom 20. Oktober 1986 und vom 06. November 1986 sowie den Widerspruchsbescheid des
Kreisausschusses des Landkreises G vom 31. März 1987 insoweit aufzuheben, als Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 01.
Oktober 1986 bis zum 31. Januar 1987 lediglich darlehensweise gewährt worden ist.
Die Beklagte hat beantragt
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. Juli 1988 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die
Entscheidung der Beklagten, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt als Darlehen zu gewähren, sei rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, daß ihr die Hilfe statt als Darlehen als verlorener Zuschuß gewährt werde. Es bestünden
keine Zweifel daran, daß der Klägerin die beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt von Anfang an als Darlehen bewilligt worden
sei, worauf auch im Bescheid vom 20. Oktober 1986 ausdrücklich hingewiesen worden sei. Die behördeninterne Auszahlungsverfügung
vom 01. Oktober 1986, mit der der Klägerin unmittelbar nach Antragstellung Geldmittel zur Verfügung gestellt worden seien,
könne nicht ohne den darauf bezugnehmenden Aktenvermerk vom 24. Oktober 1986 gesehen werden, dem deutlich die Bewilligung
der Hilfe als Darlehen zu entnehmen sei. Die Klägerin habe sich im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung in einer nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befunden, so daß grundsätzlich kein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt bestehe.
Es liege jedoch bei ihr ein besonderer Härtefall im Sinne des § 26 Satz 2 BSHG vor. Die Härteregelung greife ein, wenn es dem Auszubildenden nicht zumutbar sei, seine Ausbildung abzubrechen oder zu unterbrechen,
um seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit oder auf andere Weise zu sichern oder dies selbst bei Studienabbruch
gar nicht möglich sei. Als besonderer Umstand, der die Unzumutbarkeit des Abbruchs oder der Unterbrechung der Ausbildung begründen
könne, komme insbesondere in Betracht, daß der Auszubildende unmittelbar vor der Abschlußprüfung oder bereits in der Abschlußprüfung
stehe und binnen weniger Wochen oder Monate mit dem Abschluß der Ausbildung zu rechnen sei. Die Klägerin habe sich Anfang
Oktober 1986 in einer solchen Situation befunden, in der ihr ein Abbruch oder eine Unterbrechung des Studiums nicht zuzumuten
gewesen sei, zumal die Abgabefrist für ihre bereits im August 1986 zugewiesene wissenschaftliche Hausarbeit am 18. Februar
1987 ablaufen werden würde und davon auszugehen gewesen sei, daß auf Seiten der Klägerin ein erheblicher Arbeitsaufwand bereits
entstanden gewesen sei. Bei Vorliegen eines besonderen Härtefalles sei der Sozialhilfeträger jedoch in aller Regel verpflichtet,
Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren (Ermessensreduzierung auf Null). Hinsichtlich der Form der Hilfegewährung (verlorener
Zuschuß/Darlehen) habe der Sozialhilfeträger ermessensfehlerfrei zu entscheiden. Die Entscheidung der Beklagten, Hilfe zum
Lebensunterhalt in Form eines Darlehens zu gewähren, sei ermessensfehlerfrei. Bereits aus dem Ergänzungsbescheid vom 06. November
1986 werde deutlich, daß allein die Examenssituation der Klägerin für die Leistungsbewilligung maßgeblich gewesen sei, und
daß nur ein Leistungsbezug bis zum Studienabschluß habe bewilligt werden sollen. Bei Hilfen zur Erreichung eines Examensabschlusses
an einer Hochschule als Darlehen sei die Erwägung, daß der Hilfeempfänger seine Arbeitskraft demnächst uneingeschränkt für
den Erwerb seines Lebensunterhaltes einsetzen könne und im allgemeinen bald zur Rückzahlung in der Lage sein werde, sachgerecht.
Dies treffe auch für die Klägerin zu, deren Studienabschluß im Frühjahr 1987 und deren Anstellung als Studienreferendarin
nach ihren eigenen Angaben im November 1987 zu erwarten gewesen sei und werde auch dadurch bestätigt, daß der Gesetzgeber
grundsätzlich jedem Hochschulabsolventen zumute, Ausbildungsförderung zurückzuzahlen. Werde die Förderungshöchstdauer überschritten,
ohne daß nach den Bestimmungen des
BAföG Ausbildungsförderung weiter gewährt werden könne, so bestehe für die betroffenen Studenten in Hessen die Möglichkeit, bei
der studentischen Darlehenskasse Hessen über das jeweilige Studentenwerk ein langfristiges Darlehen zu erhalten. Im Hinblick
auf den baldigen Abschluß des Studiums und die damit veränderten Umstände sei deshalb eine Rückzahlungsverpflichtung, d.h.
die Gewährung von Leistungen als Darlehen immer zumutbar und die finanzielle Gleichstellung eines solchen Hilfeempfängers
mit einem Studenten, der sich bei der studentischen Darlehenskasse um ein Darlehen bemühe, nicht zu beanstanden.
Schließlich stehe der sachgerechten Ermessensausübung der Beklagten auch nicht § 15b BSHG entgegen, wonach Geldleistungen als Darlehen gewährt werden könnten, wenn laufende Leistungen zum Lebensunterhalt voraussichtlich
nur für kurze Dauer zu gewähren seien. Die genannte Vorschrift sei im Rahmen des § 26 Satz 2 BSHG nicht anwendbar.
Gegen den am 26. Juli 1988 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin mit am 08. August 1988 beim Verwaltungsgericht eingegangenem
Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie wie folgt begründet: Hilfe zum Lebensunterhalt sei ihr am 01. Oktober 1986 nicht darlehensweise,
sondern antragsgemäß als verlorener Zuschuß gewährt worden. Im übrigen verkenne das Verwaltungsgericht, daß die darlehensweise
Gewährung von Sozialhilfeleistungen nur in den gesetzlich normierten Fällen möglich und rechtmäßig sei. Soweit der Gesetzgeber
die darlehensweise Bewilligung vorsehe, müßten die Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Gewährung eines Darlehens bei Bewilligung
für den Einzelfall geprüft werden. In ihrem Falle seien Sozialhilfemittel am 01. Oktober 1986 bewilligt und ausgezahlt worden.
Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte die Beklagte im Rahmen der ihr obliegenden Ermessensentscheidung zu prüfen gehabt, nach
welchen Kriterien eine darlehensweise Bewilligung von Sozialhilfemitteln sachgerecht erscheine. Diese Prüfung habe anhand
des einschlägigen gesetzlichen Tatbestandes zu erfolgen. Sodann hätte ihr bei Bewilligung bekanntgegeben werden müssen, ob
und aus welchen Gründen Sozialhilfemittel zur Verfügung gestellt worden seien. Dies sei bei der Bewilligung am 01. Oktober
1986 nicht geschehen. Aus diesem Grunde könne der im Bescheid vom 20. Oktober 1986 enthaltene Hinweis auf eine darlehensweise
Bewilligung keine rechtliche Bedeutung haben. Es reiche darüber hinaus nicht aus, die gesetzlichen Möglichkeiten einer darlehensweisen
Bewilligung aufzuzählen. Einer derartigen Aufzählung sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die darlehensweise Bewilligung
im konkreten Einzelfall als sachgerecht erachtet werde. Auch aus dem Aktenvermerk vom 24. Oktober 1986 lasse sich eine darlehensweise
Bewilligung der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht entnehmen. Es handele sich dabei um einen behördeninternen Vermerk, der in
keinem Fall Bestandteil des Verwaltungsaktes geworden sei. Sollten dem Aktenvermerk Ermessenserwägungen zu entnehmen sein,
so seien diese nach Bewilligung am 01. Oktober 1986 erfolgt. Da die Ausübung des Ermessens jedoch bei Bewilligung stattzufinden
habe, seien nachträgliche Erwägungen der Behörde für den zuvor erlassenen Verwaltungsakt bedeutungslos. Dem Verwaltungsgericht
könne auch dahingehend nicht gefolgt werden, daß die Entscheidung im Rahmen des § 26 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt in Form eines Darlehens zu gewähren, ermessensfehlerfrei sei. Das Verwaltungsgericht verkenne,
daß eine Bewilligung gemäß § 26 Satz 2 BSHG nicht stattgefunden habe. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1986 habe das Sozialamt mitgeteilt, Sozialhilfe sei auf der Grundlage
des § 8 BSHG gewährt worden. Ausdrücklich werde darauf hingewiesen, daß in ihrem, der Klägerin, Falle eine Härte im Sinne des § 26 Satz 2 BSHG nicht vorgelegen habe. Eine Ermessenserwägung dahingehend, ob im Rahmen des § 26 Satz 2 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt darlehensweise auszuzahlen sei, sei nach dem Vortrag der Beklagten gerade nicht erfolgt. Es treffe
zu, daß sie am 29. September 1986 über den Tatbestand des § 15b BSHG belehrt worden sei und sie dies durch ihre Unterschrift bestätigt habe. In der Bekanntgabe des Gesetzestextes und dem Hinweis
darauf, daß Sozialhilfe als Darlehen gewährt werden könne, wenn die Leistungen voraussichtlich nur für eine kurze Dauer gewährt
würden, sei jedoch eine Ermessensausübung der Behörde nicht zu erkennen. Hätte Sozialhilfe gemäß § 15b BSHG darlehensweise gewährt werden sollen, so hätte bei Bewilligung geprüft werden müssen, ob sie nach Ablauf eines Zeitraumes
von längstens sechs Monaten in der Lage gewesen wäre, sich selbst zu unterhalten. Dies sei nicht geschehen. Sie habe bereits
bei der Vorsprache am 29. September 1986 darauf hingewiesen, daß sie mit einer Anstellung als Referendarin frühestens im November
1987 rechnen könne. Entgegen der Darstellung der Beklagten sei ihr nicht mitgeteilt worden, daß und warum nur eine darlehensweise
Gewährung von Sozialhilfemitteln in Betracht käme. Lediglich erörtert worden sei dabei die Frage der Dauer des Sozialhilfebezuges.
Nach Bewilligung der Sozialhilfe mit mündlichem Bescheid vom 01. Oktober 1986 sei sie im Hinblick auf die von ihr vorgebrachten
Einwände davon ausgegangen, daß eine Bewilligung nach § 15b BSHG nicht in Betracht käme und Sozialhilfe somit als verlorener Zuschuß gewährt werde. Sie habe entgegen der Darstellung der
Beklagten Sozialhilfe auch nicht als Darlehen beantragt. Soweit dem Sozialhilfeträger außer in den gesetzlich normierten Fällen
ein Ermessen hinsichtlich der darlehensweisen Gewährung von Sozialhilfemitteln zuzubilligen sei, müsse dieses Ermessen bereits
im Zeitpunkt der Gewährung der Hilfe ausgeübt und dem Hilfeempfänger gegenüber deutlich gemacht werden. Es lasse sich weder
mit der Rechtsstellung des Hilfeempfängers noch mit Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Sozialleistungsverwaltung vereinbaren,
dem Hilfeempfänger im Zeitpunkt der Hilfegewährung ein für ihn wesentliches besonderes Merkmal der Hilfe nicht zu offenbaren
und den Darlehenscharakter später rückwirkend nachzuschieben.
Mit Schriftsatz vom 01. November 1991 hat die Klägerin die Klage zurückgenommen, soweit sie sich auf die Zeit ab Dezember
1986 bezog. Die Beklagte hat der Klagerücknahme zugestimmt.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Gießen vom 14. Juli 1988 - IV/3 E 598/87 - insoweit aufzuheben, als die Klage
nicht zurückgenommen worden ist, sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Oktober und 06. November 1986 und den Widerspruchsbescheid
vom 31. März 1987 insoweit aufzuheben, als diese Bescheide die Bewilligung von Sozialhilfe für die Monate Oktober und November
1986 in Form eines Darlehens betreffen, sowie festzustellen, daß die der Klägerin gewährte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
für die Monate Oktober und November 1986 als verlorener Zuschuß geleistet wurde;
hilfsweise,
auch den Bescheid der Beklagten vom 01. Oktober 1986 insoweit aufzuheben, als dieser Bescheid die Bewilligung von Sozialhilfe
in Form eines Darlehens betrifft, und die Beklagte zu verpflichten, ihr, der Klägerin, die gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt
als verlorenen Zuschuß zu belassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und führt ergänzend aus: Eine Darlehensgewährung sei nicht nur in den
gesetzlich geregelten Fällen möglich, sondern auch dann, wenn die Hilfegewährung in das Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt
sei. Sie habe ihr Ermessen entgegen der Darstellung der Klägerin auch ausgeübt. Durch die Gewährung des Darlehens sei es der
Klägerin ermöglicht worden, ihr Studium abzuschließen. Aufgrund des durch diese Qualifikation zu erwartenden Einkommens sei
auch zu erwarten gewesen, daß die Klägerin in der Lage sein würde, die Darlehenssumme zurückzuzahlen. Daß entsprechende Erwägungen
von seiten der Behörde erfolgt seien, zeige schon die Tatsache, daß die Klägerin bereits am 29. September 1986 auf die Möglichkeit
einer Hilfegewährung in Darlehensform hingewiesen worden sei. Zum anderen sei der Klägerin schon in den Gesprächen vom 29.
September 1986 und vom 01. Oktober 1986 klargemacht worden, daß und warum nur eine darlehensweise Gewährung von Sozialhilfe
in Betracht gekommen sei. Darauf, daß in dem maschinellen Bescheid vom 20. Oktober 1986 die Ermessenserwägungen nicht noch
einmal in allen Einzelheiten wiederholt worden seien, könne sich die Klägerin nicht berufen, da ihr die Auffassung der Behörde
über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt gewesen sei (§ 35 Abs. 2 SGB X). Außerdem seien die Erwägungen, die für die Hilfe in Darlehensform gesprochen hätten, noch einmal ausdrücklich im Widerspruchsbescheid
dargelegt. Schließlich bestünden Bedenken an der Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege ein Härtefall im Sinne des § 26 Satz 2 BSHG vor. Grundsätzlich stelle es keine besondere Härte dar, wenn ein Student nach Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach
dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz sein Studium entweder ohne öffentliche Mittel (also auch ohne Sozialhilfe) abschließen oder aber ohne Studienabschluß aufgeben
müsse. Besondere Umstände, aus denen sich eine andere Beurteilung ergeben könnte, seien nicht ersichtlich.
Der Senat hat Beweis darüber erhoben, ob der Klägerin bei ihren Vorsprachen am 29. September und 01. Oktober 1986 beim Sozialamt
der Beklagten erklärt wurde, daß ihr Sozialhilfe in Form eines Darlehens gewährt werde, durch uneidliche Vernehmung der Angestellten
B als Zeugin. Auf das Ergebnis der Zeugenvernehmung wird Bezug genommen (Blatt 118 bis 120 der Akten).
Dem Senat hat ein Hefter Behördenakten der Beklagten vorgelegen, der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden
ist. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit die Klägerin mit Einwilligung der Beklagten die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren gemäß §
92 Abs.
2 VwGO eingestellt.
In dem verbleibenden Teil ist die zulässige Berufung der Klägerin gegen den angefochtenen Gerichtsbescheid teilweise begründet,
denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht in vollem Umfang abweisen dürfen.
Die angefochtenen Bescheide sind ermessensfehlerhaft und deshalb als rechtswidrig aufzuheben. Die Beklagte ist verpflichtet,
die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§
113 Abs.
5 Satz 2
VwGO).
Die Beklagte hat der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Oktober und November 1986 als Darlehen gewährt. Steht
dies für den Monat November 1986 zweifelsfrei durch den Bescheid vom 20. Oktober 1986 fest, so ist der Senat aufgrund der
Zeugenaussage der Sachbearbeiterin davon überzeugt, daß auch für den Monat Oktober 1986 die Hilfe zum Lebensunterhalt nur
darlehensweise erfolgt ist. Die Zeugin hat glaubhaft erklärt, daß sie die Klägerin bei ihrer Vorsprache darauf hingewiesen
habe, daß Studenten grundsätzlich keine Sozialhilfeleistungen erhielten, ihnen jedoch während des Examens ein Darlehen gewährt
werden könne. Sie habe dies der Klägerin ausdrücklich mündlich erklärt und nicht lediglich auf das zu unterschreibende Formular
hingewiesen. Ferner habe sie darauf aufmerksam gemacht, daß das Darlehen während des Examens nur für kurze Zeit gewährt werde.
Diese Aussage wird durch die von der Klägerin am 01. Oktober 1986 unterschrieben eingereichten Erklärung bestätigt. Hierin
bescheinigt sie, daß ihr mitgeteilt worden sei, "daß die Sozialhilfezahlung als Darlehen erfolgt." Anders als sich die Klägerin
in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu erinnern glaubt (vgl. Blatt 118 der Gerichtsakte), enthielt die "Bestätigung"
deshalb nicht nur den Hinweis auf die Möglichkeit einer darlehensweisen Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt; vielmehr
war für sie zweifelsfrei erkennbar, daß Sozialhilfeleistungen allein in Form eines Darlehens gewährt würden. Es ist äußerst
unwahrscheinlich, daß, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärte, bei der Vorsprache und Aushändigung der Antragsformulare
die Zeugin die Klägerin nicht auf die darlehensweise Leistung von Sozialhilfe hingewiesen haben soll. Denn zum einen sind
beim Sozialamt einer Universitätsstadt wie Vorsprachen von Studenten, die keine Ausbildungsförderung mehr erhalten, keine
Seltenheit, so daß sich den Sachbearbeitern die Frage einer eventuellen Darlehensgewährung unter dem Gesichtspunkt entweder
des § 15b BSHG oder des § 26 Satz 2 BSHG häufig stellt. Zum anderen würde bei Zugrundelegung des von der Klägerin geschilderten Sachverhalts der Aktenvermerk der
Zeugin vom 24. Oktober 1986 (Blatt 27 der Behördenakte) keinen Sinn ergeben, weil dazu keine Veranlassung bestanden hätte.
Steht demnach zur Überzeugung des Senats fest, daß der Klägerin auch für den Monat Oktober 1986 die Hilfe zum Lebensunterhalt
als Darlehen gewährt wurde, so leiden die Bescheide der Beklagten und der Widerspruchsbescheid des Landkreises jedoch in Bezug
auf die Darlehensbewilligung an einem Ermessensfehler.
Dem kann zunächst nicht entgegengehalten werden, daß die Klägerin - mit großer Wahrscheinlichkeit - lediglich die darlehensweise
Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt hat, denn Sozialhilfe ist antragsunabhängig bei Vorliegen der Voraussetzungen
zu gewähren (§ 5 BSHG). Die Entscheidung über Form (also auch die Frage Zuschuß oder Darlehen) und Maß der Sozialhilfe erfolgt vielmehr gemäß §
4 Abs. 2 BSHG nach pflichtmäßigem Ermessen und zwar nicht nur, wie die Klägerin meint, in den Fällen, in denen das Gesetz die Gewährung
von Darlehen ausdrücklich regelt, wenngleich die Natur der Sozialhilfebedürftigkeit in der Regel nur die Hilfegewährung in
Form eines Zuschusses erlaubt. Auch die ursprünglich unterbliebene Begründung der Ermessensentscheidung macht die angefochtenen
Bescheide nicht ermessensfehlerhaft, denn das Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 11. Dezember 1986 sowie der Widerspruchsbescheid
des Landkreises vom 31. März 1987 haben die für eine Ermessensentscheidung erforderliche Begründung noch rechtzeitig nachgeholt
(§ 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X).
Die angefochtenen Bescheide sind jedoch deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte zu Unrecht anfangs von der Anwendbarkeit
des § 15b BSHG, später in Übereinstimmung mit der Widerspruchsbehörde vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 26 Satz 2 BSHG ausgegangen ist.
Die in der Belehrung durch die Sachbearbeiterin enthaltene Rechtsauffassung, im vorliegenden Fall sei § 15b BSHG Grundlage für die Darlehensgewährung, teilt der Senat nicht. Unabhängig davon, wie lange der konkrete Prognosezeitraum der
"voraussichtlich nur kurzen Dauer" zu bemessen war, ist hier nämlich zu beachten, daß die Spezialbestimmung des § 26 BSHG die Anwendung des § 15b BSHG ausschließt. § 15b BSHG gilt nur, wenn laufende Leistungen zum Lebensunterhalt zu gewähren sind. Die Vorschrift setzt demnach einen Rechtsanspruch
voraus, den die Klägerin seinerzeit gerade nicht hatte (§ 26 Satz 1 BSHG; ebenso OVG Bremen, ZfSH/SGB 1986, 613 f.; Schulte/Trenk-Hinterberger, BSHG, 2. Auflage, § 26 Anm. 5).
Zwar war im Falle der Klägerin ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 26 Satz 1 BSHG ausgeschlossen. Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten ist der Senat aber der Auffassung, daß ein besonderer Härtefall gemäß
§ 26 Satz 2 BSHG gegeben war, denn die Klägerin arbeitete bereits sechs Wochen an ihrer Examensarbeit und befand sich in der akuten Phase
des Examens. Der Senat bleibt bei seiner im Beschluß vom 18. April 1983 (9 TG 14/83, FEVS 32, 452, insbesonders 453 letzter
Absatz) vertretenen Auffassung, daß ein besonderer Härtefall im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG dann anzunehmen ist, wenn es dem Auszubildenden nicht zugemutet werden kann, seine Ausbildung abzubrechen oder zu unterbrechen,
um seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit oder auf andere Weise zu sichern. In der Person der Klägerin waren zum
damaligen Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt, denn es lag nicht lediglich eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer
vor, was für sich allein gesehen die Annahme eines besonderen Härtefalles nicht rechtfertigt, sondern die Klägerin war bereits
in der Prüfung und der Abschluß ihrer Ausbildung war absehbar, so daß ein Abbruch in dieser Ausbildungsphase als nicht mehr
zumutbar anzusehen war. Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, daß bei Vorliegen eines besonderen Härtefalles
der Träger der Sozialhilfe in aller Regel verpflichtet ist, Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten und eine abweichende Ermessensentscheidung
trotz der Formulierung "kann" ausgeschlossen ist (ebenso Schulte/Trenk- Hinterberger a. a. O.; ähnlich Schellhorn/Jirasek/Seipp,
BSHG, 13. Auflage 1988, Anm. 27; Mergler/Zink, BSHG § 26 Anm. 30; anders OVG Münster NDV 1986, 141). Die sodann dem Träger der Sozialhilfe obliegende Ermessensentscheidung, ob dem Hilfesuchenden Hilfe zum Lebensunterhalt
als Zuschuß oder Darlehen zu gewähren ist, richtet sich nach § 4 Abs. 2 BSHG (Mergler/Zink a. a. O., Anm. 31).
Ist aber das Vorliegen eines besonderen Härtefalles im Sinne von § 26 Satz 2 BSHG zu Unrecht verneint worden, so beruht die Ermessensentscheidung, die Hilfe als Darlehen zu gewähren, auf einer falschen Grundlage.
Dies bedeutet, daß die Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Monate Oktober
und November 1986 erneut wird entscheiden müssen (§
113 Abs.
5 Satz 2
VwGO). Hierbei wird die Beklagte berücksichtigen können, daß nach der damaligen Rechtslage Ausbildungsförderung an Studierende
ebenfalls nur als Volldarlehen geleistet wurde (vgl. auch OVG Bremen a. a. O.).
Nach alledem hat die Berufung der Klägerin nur hinsichtlich der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides und der angefochtenen
Bescheide sowie hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung der Klägerin Erfolg, wohingegen die Klage
und Berufung in ihrem weitergehenden Umfang unbegründet sind.