Bezeichnung des Verfahrensmangels der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe:
I
Im Streit ist die Übernahme nicht gedeckter Beiträge zur privaten Krankenversicherung des Klägers durch die Beklagte in dem
Zeitraum vom 1.4.2007 bis 31.7.2008.
Die Beklagte lehnte Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB
XII) mit der Begründung ab, der Kläger sei erwerbsfähig und habe einen Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
- Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die er derzeit einschließlich eines Zuschusses zu den Beiträgen zu seiner
privaten Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 26 SGB II von der Arbeitsgemeinschaft Freiburg erhalte (Bescheid vom 30.3.2007;
Widerspruchsbescheid vom 4.9.2007). Die Klage, mit der der Kläger sein Leistungsbegehren (nur noch) hinsichtlich der ungedeckten
Kosten für seine private Krankenversicherung weiter verfolgte, ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Freiburg vom 7.10.2009). In seiner Berufungsschrift hat der Kläger als "derzeitige Zustellanschrift" sein Postfach in Freiburg
angegeben. Die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am Mittwoch, den 27.1.2010, ist mittels Postzustellungsurkunde
an die S straße in F - eine Obdachlosenunterkunft, die erstinstanzlich vom früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers angegeben
worden war - gesandt worden. Weil die Übergabe des Schriftstücks scheiterte, ist es in den "zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten
oder in eine ähnliche Vorrichtung" eingelegt worden. In der mündlichen Verhandlung vom 27.1.2010 ist der Kläger nicht erschienen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.1.2010). Am 9.2.2010 hat der Kläger
telefonisch mitgeteilt, er habe keine Schreiben vom LSG bekommen und durch Zufall von der Obdachlosenunterkunft die Schreiben
erst jetzt erhalten. Die Adresse S straße in F stimme nicht bzw sei die Adresse der Obdachlosenunterkunft. Er habe eine Postfachadresse
angegeben, an die die Post habe gehen sollen. Schreiben des LSG habe er nicht beantworten können, weil er sie nicht erhalten
habe; auch nicht den Prozesskostenhilfe-Beschluss.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend. Die Terminsladung sei nicht ordnungsgemäß
zugestellt worden. Dieser Zustellungsmangel sei auch erheblich, weil er die Terminsladung tatsächlich nicht erhalten habe.
Die nicht ordnungsgemäße Ladung eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung sei ein im Revisionsverfahren zu beachtender
Verfahrensmangel. Die mündliche Verhandlung sei das Kernstück des gerichtlichen Verfahrens, um dem Anspruch des Beteiligten
auf rechtliches Gehör gemäß Art
103 Abs
1 Grundgesetz (
GG) zu genügen.
II
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer unzureichenden Gewährung rechtlichen Gehörs liegt vor und führt gemäß §
160a Abs
5 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die
angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des LSG
unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe
sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14). Vor allem in der mündlichen
Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird aufgrund
mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.
Diese Möglichkeit hatte der Kläger jedoch nicht, weil er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden ist
und deshalb die Ladung nicht erhalten hat. Aus den beigezogenen Akten des LSG lässt sich die Richtigkeit des Vorbringens des
Beschwerdeführers nachvollziehen. Danach hat er in der Berufungsinstanz als Zustellanschrift (nur) sein Postfach angegeben.
Das LSG durfte daher nicht an die früher - erstinstanzlich - noch maßgebende Anschrift die Ladung zustellen. Ob eine Ladung
an die Postfachadresse möglich gewesen wäre, ist ohne Bedeutung für die Entscheidung. Eine Ladung muss nach §
63 Abs
1 Satz 2
SGG (in der Fassung des 6.
SGG-Änderungsgesetzes vom 17.8.2001 - BGBl I 2144) nicht (mehr) zugestellt werden; vielmehr genügt schon die Bekanntgabe (etwa
durch einfachen Brief oder durch Einwurfeinschreiben). Das LSG hätte die Ladung deshalb an das Postfach senden müssen, um
sicherzustellen, dass die Ladung den Kläger erreicht. Dem LSG war durch E-Mail des Klägers auch bekannt, dass er keinerlei
Schreiben, auch nicht den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss, erhalten hatte. Da der Kläger nicht ordnungsgemäß
zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen war, war das LSG gehindert, die Instanz durch Urteil nach mündlicher Verhandlung
zu beenden (BSG SozR 3-1750 § 551 Nr 6 S 18). Dass es dennoch entschieden hat, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Darlegungen dazu, dass das Urteil des LSG auf der Verletzung des Grundrechts des rechtlichen Gehörs beruhen kann, bedurfte
es nicht. Ist ein Verfahrensbeteiligter gehindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist angesichts der Bedeutung
der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren davon auszugehen, dass dieser Umstand für die Entscheidung
ursächlich geworden ist (BSG SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7; BSG SozR 3-1500 §
160 Nr 33 S 62; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2008, §
62 RdNr 11c).
Nach §
160a Abs
5 SGG kann das Bundessozialgericht im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen. Letzteres ist - wie ausgeführt - der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.