Anspruch auf Sozialhilfe; Zulässigkeit des Wegfalls des Mehrbedarfs für ältere erwerbsgeminderte Personen im Rahmen einer
Besitzstandswahrung ab 1.1.2005
Gründe:
I
Im Streit ist noch ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen)
für die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.6.2006.
Der 1941 geborene Kläger bezog vor 2005 Grundsicherungsleistungen vom Beklagten nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG); bis zum 31.12.2004 erhielt er zusätzlich einen Mehrbedarf für ältere bzw erwerbsunfähige Personen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Ab 1.1.2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB
XII) ohne diesen Mehrbedarf, weil das SGB XII diesen nur für Erwerbsunfähige und für Personen über 65 vorsehe, denen auch
das Merkzeichen G zugestanden sei; dies sei beim Kläger nicht der Fall (Bescheid vom 25.10.2005; Widerspruchsbescheid vom
20.1.2006).
Die auf höhere Leistungen für die Zeit ab 1.1.2005 gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts München
[SG] vom 22.6.2006; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts [LSG] vom 25.1.2008). Zur Begründung seiner Entscheidung hat
das LSG ausgeführt, Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger ein Mehrbedarf nach dem SGB XII zustehen könne, seien nicht ersichtlich.
Die Besitzstandsregelung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG (Mehrbedarf für über 65-Jährige und Erwerbsunfähige, der bereits bis zum 31.7.1996 anerkannt war), auf die der Kläger sein
Begehren stütze und auf der der Leistungsbezug bis 31.12.2004 beruht habe, sei in das SGB XII nicht übernommen worden. § 30
Abs 1 Nr 2 SGB XII erkenne den Mehrbedarf nur noch für alte oder erwerbsunfähige schwerbehinderte Menschen mit dem Merkzeichen
G an. Gegen die Neuregelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar,
dass dem Kläger aus anderen Gründen Mehraufwendungen entstanden seien, die seinen sozialhilferechtlichen Bedarf erhöht hätten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen Art
20 Abs
3 Grundgesetz, weil die Besitzstandsklausel des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung nicht in das SGB XII übernommen worden sei. Für ihren Wegfall fehle es an einer
besonderen Rechtfertigung. Indem durch die Nichtübernahme der Besitzstandswahrung an einen Sachverhalt angeknüpft werde, der
bereits endgültig Gegenstand der Gesetzesänderung 1996 gewesen sei, werde nachträglich ändernd in einen der Vergangenheit
angehörigen, abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen. Der Wegfall der Besitzstandswahrung stelle sich als unzulässige echte
Rückwirkung dar, weil gewichtige und bedeutende Gründe hierfür nicht vorlägen.
Der Kläger beantragt nach Rücknahme der Revision für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2005, die Urteile des LSG und des SG abzuändern, den Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2006
zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm höhere Regelsatzleistungen bzw Mehrbedarfe für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis
30. Juni 2006 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) begründet.
Der Kläger ist nach Einschätzung des Senats prozessfähig iS des §
71 Abs
1 SGG, obwohl für ihn wegen einer psychischen Behinderung gemäß §
1896 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ein Betreuer bestellt worden ist. Die Betreuung greift jedoch in seine Prozessfähigkeit nicht ein, weil das Betreuungsgericht
nicht gemäß §
1903 Abs
1 Satz 1
BGB angeordnet hat, dass der Kläger zu einer Willenserklärung in Bezug auf den Gegenstand des Rechtsstreits oder für die Einlegung
von Rechtsbehelfen der Einwilligung des Betreuers bedarf.
Die Klage ist mangels Geltung des Behördenprinzips (§
70 Nr
3 SGG) zutreffend gegen den zuständigen Landkreis Bad Tölz gerichtet. Nach §
3 Abs 1 iVm § 97 Abs 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe der örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig, soweit nicht der überörtliche
Sozialhilfeträger zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird gemäß § 97 Abs
2 Satz 1 SGB XII grundsätzlich nach Landesrecht bestimmt. Nach Art 11 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 6, Satz 2 des bis Ende 2006 in
Bayern geltenden Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuchs (AGSGB) vom 10.8.1982 (Gesetz- und Verordnungsblatt [GVBl] 514 = Bayerische Rechtssammlung [BayRS] 86-7-A idF des Vierten Gesetzes
zur Änderung des AGSGB vom 27.12.2004, GVBl 541) war der überörtliche Träger der Sozialhilfe in Bayern insbesondere für Aufgaben im stationären
und teilstationären Bereich zuständig; eine der dort aufgezählten Aufgaben hat der Beklagte nicht wahrgenommen. Daher verbleibt
es bei der Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe. Nach Art 9 Abs 1 Satz 1 AGSGB sind örtliche Träger der Sozialhilfe in Bayern die kreisfreien Gemeinden und die Landkreise. Der beklagte Landkreis hat auch
nach Art 82 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) vom 8.12.2006 (GVBl 942 = BayRS 86-7-A) weiterhin über die
beantragten Leistungen zu entscheiden, falls nicht eine Heranziehung der Gemeinde Bad Tölz erfolgt sein sollte (vgl Art 83
Abs 2 AGSG), aus der sich etwas anderes ergeben sollte (s zur Problematik der Heranziehung nur Söhngen in juris Praxiskommentar
SGB XII [jurisPK-SGB XII], § 99 RdNr 10 ff mwN zur Rspr). Dem wäre dann ggf durch eine Berichtigung des Rubrums Rechnung zu
tragen. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 98 Abs 1 SGB XII. Dies mag das LSG prüfen.
Nachdem der Kläger durch Teilrücknahme (§
165 iVm §
156 SGG) seine Revision auf die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.6.2006 beschränkt hat, ist Gegenstand des Verfahrens (§
95 SGG) allein noch der Bescheid des Beklagten vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2006. Ein von Amts
wegen zu berücksichtigender erheblicher Mangel im Vorverfahren (vgl hierzu Senatsurteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 17/09 R; BVerwGE
21, 208 ff) liegt nicht darin, dass im Widerspruchsverfahren eine sozial erfahrene Person nicht entsprechend § 116 Abs 2 SGB XII beteiligt war. Nach Art 22 AGSGB fand § 116 Abs 2 SGB XII in Bayern keine Anwendung.
Frühere Bescheide des Beklagten, die den Leistungszeitraum und Streitgegenstand betrafen, sind durch den höhere Leistungen
bewilligenden Bescheid vom 25.10.2005 ersetzt worden und daher nicht mehr wirksam (§ 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch
- Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - [SGB X]). Der Kläger hat sein Begehren inhaltlich auf die Erbringung
höherer Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.6.2006 wegen des Regelbedarfs und Mehrbedarfen beschränkt
(vgl zu dieser Möglichkeit BSGE 101, 217 ff RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1). Den Bescheid vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2006
(§
95 SGG) hat der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 und 4
SGG) angefochten, soweit entsprechende Leistungen abgelehnt worden sind.
Ob der Kläger durch den angefochtenen Bescheid iS des §
54 Abs
2 Satz 1
SGG beschwert ist, ihm also höhere Leistungen zustehen, kann der Senat nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend
beurteilen. Das LSG hat allein die Frage verneint, ob dem Kläger ein Mehrbedarf zusteht; ob die im angefochtenen Bescheid
ausgewiesene Regelsatzleistung unter Berücksichtigung des Einkommens zutreffend festgestellt worden ist, hat das LSG nicht
dargestellt.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen ist § 19 Abs 2 iVm §§ 41 ff SGB XII. Anspruch auf
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei (dauerhafter) Erwerbsminderung nach § 41 Abs 1 Nr 1 SGB XII (idF, die die Norm
durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) haben auf Antrag
Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben,
unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS des §
43 Abs
2 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann, soweit sie ihren Lebensunterhalt
nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen gemäß §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII beschaffen können (§ 41 Abs 2 SGB XII). Die Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz
zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens im Sozialrecht vom 21.3.2005 - BGBl I 818 - erhalten hat) ua den für den Leistungsberechtigten
maßgebenden Regelsatz nach § 28 SGB XII, die Mehrbedarfe gemäß § 30 SGB XII sowie die einmaligen Bedarfe gemäß § 31 SGB XII.
Nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) wird der
gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen der Unterkunft und
Heizung und der Sonderbedarfe der §§ 30 bis 34 SGB XII nach Regelsätzen erbracht. Der Regelbedarf wird abweichend festgelegt,
wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von
einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Diese Regelung gilt auch für Leistungen der §§ 41 ff
SGB XII (BSGE 99, 252 ff RdNr 20 ff = SozR 4-3500 § 28 Nr 3; BSGE 104, 200 ff = SozR 4-3500 § 30 Nr 1). Anhaltspunkte für einen abweichenden Bedarf im Sinne dieser Vorschrift liegen nicht vor.
Nach § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII (idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) ist dem Kläger keine Mehrbedarfsleistung
zuzugestehen. Danach wird nur für Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder voll erwerbsgemindert nach dem
SGB VI sind und einen Ausweis nach §
69 Abs
5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX) mit dem Merkzeichen G besitzen, ein Mehrbedarf in Höhe von 17 vH des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im
Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht (vgl hierzu und zur historischen Entwicklung im Einzelnen: BSGE 104, 200 ff RdNr 14 = SozR 4-3500 § 30 Nr 1; Simon in jurisPK-SGB XII, § 30 RdNr 1 f; Scheider in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB
XII, 18. Aufl 2010, § 30 SGB XII RdNr 4 ff, 10). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, weil ihm nicht das Merkzeichen
G nicht einmal zuerkannt worden ist. Die Besitzstandsregelung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG (für über 65-Jährige und Erwerbsunfähige), nach der der Kläger über die Grundsicherung hinaus als Sozialhilfe bis 31.12.2004
Leistungen wegen Mehrbedarfs erhalten hat, weil ihm dieser Mehrbedarf bereits bis zum 31.7.1996 zuerkannt war, ist in das
SGB XII (ab 1.1.2005) nicht übernommen worden. Dies verstößt nicht gegen Verfassungsrecht; entgegen der Ansicht des Klägers
liegt weder eine unzulässige echte noch eine unzulässige unechte Rückwirkung vor.
Eine echte Rückwirkung (bzw Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ist anzunehmen, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte,
der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift oder wenn der Beginn seiner zeitlichen Anwendung auf einen Zeitpunkt festgelegt
ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm durch ihre Verkündung rechtlich existent, das heißt gültig, geworden ist
(vgl nur BVerfG, Beschluss vom 21.7.2010 - 1 BvL 11/06 ua -, Juris RdNr 71 mwN). Der Wegfall der Besitzstandswahrung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG erfasste keine in der Vergangenheit bereits abgewickelten Tatbestände, sodass eine echte Rückwirkung überhaupt nicht vorliegt.
Hieran ändert entgegen der Ansicht des Klägers auch nichts der Umstand, dass sich der Gesetzgeber bereits im Jahr 1996 mit
dem Vertrauensschutz für Altfälle befasst und den bezeichneten Bestandsschutz ins BSHG übernommen hat.
Eine unechte Rückwirkung (oder tatbestandliche Rückanknüpfung) liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich
entwertet (vgl: BVerfG, Beschluss vom 7.12.2010 - 1 BvR 2628/07 -, Juris RdNr 47; BVerfGE 69, 272, 309 = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132; BVerfGE 72, 141, 154; 101, 239, 263; 123, 186, 257) oder wenn die Rechtsfolgen einer Norm zwar erst nach ihrer Verkündung eintreten, deren
Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl: BVerfGE 72, 200, 242; 97, 67, 79; 105, 17, 37 f; 109, 133, 181). Ob eine solche tatbestandliche Rückanknüpfung wegen der Bestandsschutzregelung
des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG zu bejahen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn eine unechte Rückwirkung ist unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes grundsätzlich
zulässig (vgl nur Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 39 RdNr 109 ff mwN zur Rspr des BVerfG).
Allein die Erwartung des Bürgers, er werde - den Fortbestand der jeweiligen Rechtslage vorausgesetzt - in einer bestimmten
zukünftigen Sachlage leistungsberechtigt sein, ist kein geschütztes Recht. Denn die Verfassung gewährt keinen Schutz vor einer
nachteiligen Veränderung der geltenden Rechtslage (vgl BVerfGE 38, 61, 83; 105, 17, 40). Eine schützenswerte Rechtsposition liegt daher nicht schon in der voraussichtlichen Einschlägigkeit bestimmter
Vorschriften auch in der Zukunft (BVerfG, Beschluss vom 7.12.2010 - 1 BvR 2628/07 -, SGb 2011, 90 und Juris RdNr 49).
Nach diesen Kriterien war der Gesetzgeber nicht gehalten, die alte Besitzstandsregelung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG in das SGB XII zu übernehmen und fortzuführen. Vielmehr hat er mit der umfassenden, ab 1.1.2005 geltenden Neuregelung der
Sozialhilfe ein neues System der Leistungsbemessung zur Existenzsicherung geschaffen, das das vorherige Leistungssystem abgelöst
hat. Hieran war er aus Verfassungsgründen nicht gehindert (vgl in anderem Zusammenhang: BVerfGE 112, 368, 397 f = SozR 4-2600 § 307a Nr 3 RdNr 47; BVerfGE 100, 1, 37 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 S 51). Die Besitzstandsregelung des § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG ist ausdrücklich (vgl BT-Drucks 15/1514, S 60 zu § 31) nicht übernommen worden. Intention hierfür war nach der Gesetzesbegründung, die bestehende Ungleichbehandlung mit dem GSiG, das diesen Mehrbedarf nicht kannte (§ 3 GSiG), zu beseitigen - Leistungen nach dem BSHG waren aber nachrangig zu erbringen (vgl Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 19 RdNr 39). Der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Bemessung eines sozialhilferechtlichen Bedarfs den Mehrbedarf nach § 23 Abs 1 Satz 2 BSHG ausweislich der vorstehend erwähnten Entstehungsgeschichte (vgl BT-Drucks 13/3904, S 45) nicht mehr für erforderlich gehalten.
Die Fortgeltung dieser Regelung im neuen Recht des SGB XII wäre auch systemwidrig, weil Leistungen zum Lebensunterhalt nach
dem SGB XII ohnedies grundsätzlich - Jugendliche unter 15 Jahren, die nicht in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ausgenommen
- nur für erwerbsunfähige Personen bzw über 65 Jahre alte Personen gezahlt werden (§ 5 Abs 2 und § 28 Sozialgesetzbuch Zweites
Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - [SGB II] sowie § 21 SGB XII; vgl auch Eicher in jurisPK-SGB XII, § 21 RdNr 15 ff
und 21).
Zu der Neukonzeption der gesetzlichen Leistungserbringung im SGB XII passt die Erbringung einer Mehrleistung allein wegen
Erwerbsunfähigkeit oder aus Altersgründen nicht mehr. Unter diesen Voraussetzungen fällt die Abwägung zwischen einem - vermeintlichen
- Vertrauensschaden und dem Wohl der Gemeinschaft zugunsten der Beschränkung des Anspruchs aus. Dem Kläger ist nur die Möglichkeit
genommen worden, einen Mehrbedarf pauschal (ohne Nachweis) geltend zu machen; soweit die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Satz
2 SGB XII vorliegen, hat er Anspruch auf Ausgleich des konkreten abweichenden Bedarfs.
Ein höherer Regelsatz steht dem Kläger auch nicht auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010
(BVerfGE 125, 175 ff) zu. In diesem Urteil hat das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Existenzminimums
durch Festbeträge in Form von Regelsätzen zu § 20 Abs 2 SGB II, die hinsichtlich ihrer Höhe den Regelleistungen nach § 28
SGB XII entsprechen, entschieden, dass sich der Gesetzgeber zur Bestimmung der Regelleistungen auf ein Verfahren gestützt
habe, das im Grundsatz geeignet sei, die notwendigen Leistungen realitätsgerecht zu bemessen. Anders als im SGB II ist die
Höhe der Regelsätze zwar in Verordnungen (§ 28 Abs 2 SGB XII iVm der Regelsatzverordnung) geregelt und mit Rücksicht auf die Normhierarchie theoretisch auch vom Gericht korrigierbar, soweit die (landesrechtlichen)
Regelsätze nicht ermächtigungskonform sind. Eine solche Korrektur kann hier gleichwohl nicht vorgenommen werden, weil das
BVerfG die auf die Regelsatzbemessung des SGB XII rekurrierende formell gesetzliche Regelung im Rahmen des SGB II bis Ende
2010 akzeptiert und ausdrücklich für die Bemessung der Regelbedarfe den Erlass eines Gesetzes gefordert hat (vgl im Einzelnen
das Senatsurteil vom 16.12.2010 - B 8 SO 7/09 R). Eine Bestimmung anderer Regelsätze durch das Gericht ist damit ausgeschlossen.
Andererseits ist nicht abschließend beurteilbar, ob dem Kläger nicht aus sonstigen Gründen höhere Leistungen zustehen. Das
Urteil des LSG enthält insbesondere keine Feststellungen zum Einkommen des Klägers; eine endgültige Überprüfung der Leistungshöhe
ist deshalb nicht möglich. Höhere Leistungen setzen auch voraus, dass die Voraussetzungen für Grundsicherungsleistungen überhaupt
vorliegen (§ 19 Abs 2, § 41 SGB XII). Ggf sind von Amts wegen auch statt der Grundsicherungsleistungen, wenn deren Voraussetzungen
nicht vorliegen sollten, höhere Leistungen unmittelbar gemäß §§ 19 Abs 1, 28 SGB XII zu erbringen (vgl BSGE 104, 207 ff RdNr 16 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1); dabei wären dann allerdings die Vorgaben des § 21 SGB XII zu beachten (vgl dazu im Einzelnen
Eicher in jurisPK-SGB XII, § 21 RdNr 15 ff und 21).
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.