Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Gründe
I
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 18.1.2022 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Beschwerde gegen
die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 10.12.2021, ihr zugestellt am 20.12.2021, unter Beiordnung
einer Rechtsanwältin gestellt. Das Schreiben ging ausweislich des Eingangsstempels am 25.1.2022 beim LSG und nach Weiterleitung
am 7.2.2022 beim BSG ein. Der Vertreter des seinerzeit zuständigen Berichterstatters wies die Klägerin mit Verfügung vom 11.2.2022 darauf hin,
dass die maßgebliche Frist von einem Monat für den Antrag auf PKH bei Eingang ihres Schreibens bereits abgelaufen und der
Antrag daher unzulässig sei. Darauf hat die Klägerin mit Schreiben vom 23.2.2022 mitgeteilt, sie habe den Brief an das LSG
am 18.1.2022 und damit rechtzeitig zur Post gegeben. Mit Schreiben vom 25.2.2022 hat der Berichterstatter der Klägerin mitgeteilt,
dass auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde
ausgeschlossen sein dürfte, da sie den Antrag an das LSG gesandt habe und er dort erst nach Fristablauf eingegangen sei. Darauf
hat die Klägerin einen Einlieferungsbeleg über eine PRIO-Sendung vom 18.1.2022 vorgelegt und mit am 28.2.2022 und 8.3.2022
eingegangenen Schreiben vom 24.2.2022 und 6.3.2022 erwidert, ihre Nachfrage beim Kundenservice der Deutschen Post habe ergeben,
dass der Brief beim LSG am 20.1.2022 zugestellt worden sei. Das LSG habe nicht so lange mit der Weiterleitung warten dürfen.
Sie beantrage hilfsweise Wiedereinsetzung.
II
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte PKH unter Beiordnung einer anwaltlichen Bevollmächtigten. Die Bewilligung
von PKH für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision setzt nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes voraus, dass der Antragsteller sowohl den Antrag auf PKH als auch die Erklärung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG, §
117 Abs
2 und
4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist einreicht (vgl zB BSG vom 20.2.2018 - B 1 KR 12/18 B - juris RdNr 3; BSG vom 15.11.2017 - B 1 KR 4/17 BH - juris RdNr 5). Der Antrag der Klägerin ist jedoch erst am 7.2.2022 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist, die am 20.1.2022 endete (§ 160a Abs 1 Satz 1 und
2, §
64 Abs
2, §
63 Abs
2 Satz 1
SGG, §§
180,
182 ZPO), eingegangen. Maßgeblich für die Fristwahrung ist der Eingang beim BSG (§
160a Abs
1 Satz 2
SGG); der Eingang bei einem anderen Gericht wahrt die Frist daher nicht (BSG vom 18.1.2022 - B 1 KR 107/21 B - juris RdNr 2). Auf die Frist für die Einlegung der Beschwerde und die Erforderlichkeit der rechtzeitigen Antragstellung und Einreichung
des PKH-Formulars nebst Anlagen ist die Klägerin in der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des LSG hingewiesen worden.
2. Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist (§
67 SGG) gewährt werden. Sie war nicht "ohne Verschulden" an der Einhaltung der Frist verhindert.
Die Fristversäumnis beruht hier auch darauf, dass die Klägerin ihr Schreiben vom 18.1.2022 entgegen der klaren Rechtsmittelbelehrung
des angefochtenen Urteils nicht an das BSG, sondern an das Berufungsgericht adressiert und versandt hat. Umstände, die ein fehlendes Verschulden der Klägerin an dieser
Fehladressierung des Rechtsmittels begründen könnten, hat sie nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Das Verschulden der Klägerin ist vorliegend auch nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil ein pflichtwidriges Verhalten des LSG
für die Fristversäumung primär ursächlich war. Zwar ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung auch dann zu gewähren ist, wenn eine
fristwahrende Rechtsmittelschrift an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens
dieses Gerichts erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht (BSG <Großer Senat> vom 10.12.1974 - GS 2/73 - BSGE 38, 248, 258 ff = SozR 1500 § 67 Nr 1 S 8 ff; BSG vom 14.12.2010 - B 10 EG 4/10 R - juris RdNr 13 und vom 20.12.2011 - B 4 AS 161/11 B - juris RdNr 9, jeweils mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die Rechtsmittelschrift bei Behandlung durch das unzuständige Gericht im ordnungsgemäßen
Geschäftsgang noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim Rechtsmittelgericht eingegangen wäre (BSG vom 14.12.2010 - aaO; BGH vom 8.2.2012 - XII ZB 165/11 - NJW 2012, 1591 RdNr 21 f). Denn die Gerichte sind im Rahmen ihrer nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, außerordentliche Maßnahmen zu ergreifen,
um den rechtzeitigen Eingang einer vom Rechtsmittelführer falsch adressierten Rechtsmittelschrift bei dem zuständigen Gericht
zu gewährleisten (BSG vom 14.12.2010 - aaO; BVerwG vom 9.1.2008 - 6 B 51/07 - NJW 2008, 932 RdNr 5).
Hier ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeschrift der Klägerin bei einer Behandlung durch das LSG im ordentlichen Geschäftsgang
noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist an das BSG gelangt wäre. Das Schreiben der Klägerin ist nach dem Eingangsstempel des LSG am 25.1.2022 beim LSG eingegangen. Selbst wenn
es - wie die Klägerin vorträgt - bereits am 20.1.2022, also am Tag des Fristablaufs, beim LSG eingegangen wäre, änderte dies
nichts. Insoweit kann offen bleiben, ob die Klägerin einen früheren Zugang mit dem von ihr vorgelegten Beleg der Einlieferung
einer PRIO-Sendung glaubhaft gemacht hat, zumal die Zusatzleistung PRIO einen Zustellnachweis gerade nicht enthält. Jedenfalls
ist ein Fehlverhalten des LSG nicht ersichtlich. Zwar hatte die Klägerin auf der ersten Seite des Schriftsatzes vom 18.1.2022
"EILT, Bitte vorziehen FRISTSACHE" vermerkt; in dem Schriftsatz war aber nicht angegeben, wann das Urteil des LSG der Klägerin
zugestellt worden war. Für die Mitarbeiter der Poststelle oder der Geschäftsstelle wäre mithin - den Eingang am 20.1.2022
unterstellt - nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen, dass der Fristablauf unmittelbar bevorstand. Jedenfalls unter
diesen Umständen waren besondere beschleunigende Maßnahmen im Rahmen der nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht geboten (s aber BVerwG vom 15.7.2003 - 4 B 83/02 - NJW-RR 2003, 901, juris RdNr 12 f, das bei eindeutiger Erkennbarkeit des Fristablaufs aus dem Schriftsatz eine Weiterleitung noch am selben
Tag verlangt hat). Es entspricht vielmehr grundsätzlich dem üblichen Geschäftsgang, wenn die richterliche Erstbearbeitung eines Dokuments wegen
der regelmäßig erforderlichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten (Zuordnung des Dokuments zu einer Akte oder Anlegen der Akte;
Zuständigkeitsbestimmung; Zutrag) nicht sofort oder unmittelbar am ersten Tag erfolgt (BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 1/16 R - BSGE 122, 71 = SozR 4-1500 § 65a Nr 3, RdNr 29). Dann hätte aber eine Zuleitung an das BSG im ordentlichen Geschäftsgang jedenfalls nicht mehr bewirkt, dass der falsch adressierte PKH-Antrag noch vor Fristablauf
beim BSG eingegangen wäre. Ein möglicherweise hier pflichtwidrig zu langes Zuwarten des LSG mit der Weiterleitung des Antrages wäre
somit für die Fristversäumung nicht kausal geworden.
Die Bewilligung von PKH muss daher abgelehnt werden (§
73a Abs
1 SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO). Damit entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).