Maßnahmen der Förderung behinderter Menschen am Arbeitsleben; Förderung der beruflichen Weiterbildung; Förderungsfähigkeit
einer Weiterbildungsmaßnahme; Ermessensausübung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die von der Klägerin im Oktober 2009 begonnene Ausbildung zur Physiotherapeutin
als Maßnahme der Förderung behinderter Menschen am Arbeitsleben von der Beklagten zu fördern ist.
Die 1981 geborene Klägerin ist ausgebildete Feinoptikerin und arbeitete in diesem Beruf bis Dezember 2008. Ab Januar 2009
war die Klägerin arbeitslos gemeldet und arbeitete als Aushilfe bei einem ambulanten Pflegedienst zu einem Monatsverdienst
in Höhe von 400 EUR. Ferner absolvierte sie Betriebspraktika in der physikalischen Praxis C. und in der Praxis für angewandte
Osteopathie D.
Nach Angaben der Klägerin vereinbarte sie im Juni 2009 mit der Beklagten ein Beratungsgespräch und teilte der Mitarbeiterin
der Beklagten in E. Frau F. mit, dass sie eine Umschulung zur Physiotherapeutin anstrebe. Frau F. habe sie in dem Glauben
gelassen, dass dem nichts entgegenstünde. Allerdings müsse das ärztliche Gutachten bestätigen, dass die Klägerin aus gesundheitlichen
Gründen ihren Beruf als Feinoptikerin nicht mehr ausüben könne. Frau F. habe alles Nötige in die Wege geleitet und sie - die
Klägerin - habe die erforderlichen Angaben zur beruflichen Rehabilitation gemacht. Am 1. Juli 2009 unterzeichnete die Klägerin
einen Antrag auf Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (Berufliche Rehabilitation) gegenüber der Deutschen Rentenversicherung.
Anfang Juli 2009 schloss die Klägerin mit dem G. GmbH einen Vertrag über die Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin.
Die Ausbildungsgebühren betragen insgesamt 13.320,- EUR. Die Klägerin begann diese Ausbildung zum vereinbarten Ausbildungsbeginn
(12. Oktober 2009).
Mit Schreiben vom 9. Juli 2009 forderte die Beklagte die Klägerin zur Angabe weiterer Informationen hinsichtlich ihres Antrags
auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf. Aus einem Aktenvermerk der Beklagten vom 15. Juli 2009 geht hervor, dass
die Klägerin den entsprechenden Antrag am 8. Juli 2009 gestellt hatte. In dem am 15. Juli 2009 bei der Beklagten eingegangenen
Antragsformular (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) gab die Klägerin an, dass sie die Arbeit als Feinoptikerin aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben könne. Sie sei an ihrem alten Arbeitsplatz ständig mit Chemikalien in Kontakt gekommen und habe
täglich Kopfschmerzen und Schleimhautprobleme gehabt. Hinzu kämen Nacken- und Rückenschmerzen aufgrund einer angespannten
Haltung bei der Tätigkeit sowie eine psychische Belastung.
Im Rahmen eines Beratungsgesprächs mit dem Reha-Berater der Beklagten H. (I. -Stadt) am 16. Juli 2007 gab die Klägerin an,
sie strebe eine Umschulung zur Physiotherapeutin an. Sie habe bereits einen Ausbildungsvertrag mit dem Bildungsträger geschlossen.
In einem Vermerk zu diesem Gespräch hielt der Berater fest, dass die gewünschte Umschulung nicht förderbar sei.
In dem - am 29. Juni 2009 in Auftrag gegebenen - sozialmedizinischen Gutachten vom 22. Juli 2009 stellte Medizinialdirektor
J. fest, dass aus ärztlicher Sicht eine berufliche Neuorientierung der Klägerin notwendig sei. Die Klägerin leide an einer
Überempfindlichkeit gegenüber Lösungsmitteln, an häufigen Cephalgien bei bekannter Wirbelsäulenfehlstellung, an wiederkehrenden
Sinusitiden sowie erhöhten Leberwerten bei familiärer Belastung. Die Klägerin solle keine körperlich schweren Tätigkeiten,
könne aber vollschichtig gelegentlich noch mittelschwere Arbeiten verrichten.
In einem weiteren Gespräch mit dem Reha-Berater K. am 3. September 2009 wurde die Klägerin erneut darüber informiert, dass
die Umschulung nicht förderbar sei.
Mit Bescheid vom 4. September 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf berufliche Rehabilitation ab. Die Dauer
einer Vollzeitumschulung sei nur dann angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Ausbildung um mindestens ein Drittel
verkürzt sei. Bei nicht verkürzbaren Ausbildungen sei eine Förderung eines Maßnahmenanteils nicht ausgeschlossen, wenn bereits
zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert sei. Der Begriff "Maßnahme" beziehe sich
auf das Bildungsangebot als Ganzes und nicht lediglich auf den einzelnen, individuellen Förderfall. Daher seien die Voraussetzungen
der Förderung nur erfüllt, wenn die Finanzierung bei allen (potentiellen) Förderungsteilnehmern der Maßnahme gesichert sei.
Eine individuelle Eigenfinanzierung des Umschülers sei nicht möglich und führe nicht zu einer Finanzierungssicherheit im Sinne
der Gesamtmaßnahme (§
37 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch -
SGB IX - und §
85 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -
SGB III).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Bei §
37 SGB IX handele es sich um eine Sollvorschrift. Nach der Ausnahmeregelung im zweiten Halbsatz könne eine länger dauernde Leistung
dann gewährt werden, wenn nur hierdurch die Aussicht auf eine Eingliederung verbessert werden könne. Gerade in ihrem Fall
sei davon auszugehen, dass die Ausbildung zur Physiotherapeutin eine realistische Perspektive zur Wiedereingliederung in das
Arbeitsleben darstelle. Um weitere Verzögerungen zu vermeiden, habe sie bereits mit der Ausbildung begonnen. Von der Ausbildungseinrichtung
sei ihr bestätigt worden, dass eine Ausbildung durchaus von der Beklagten gefördert werden könne. Die Praxis C., bei welcher
sie ein Praktikum absolviert habe, habe ihr mit Schreiben vom 19. Juni 2009 zugesichert, sie bei erfolgreichem Ausbildungsabschluss
in der Praxis anzustellen.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2009 als unbegründet zurück. Es bedürfe
einer institutionellen Finanzierungssicherstellung auf der Grundlage allgemeiner Finanzierungsstrukturen. Eine individuelle
Eigenfinanzierung des Teilnehmers bzw. ein von Bildungsträgern zugesagtes teilnehmerbezogenes Darlehen könnten nicht zu einer
Finanzierungssicherung im Sinne des §
85 Abs.
2 Satz 3
SGB III führen. Der Vertrag mit der Ausbildungsschule sei bereits zum Zeitpunkt des ersten Reha-Gespräches am 16. Juli 2009 von der
Klägerin unterschrieben gewesen. In dem Gespräch sei sie auf die entsprechenden Fristen zur Vertragsauflösung hingewiesen
worden. Andere berufliche Vorschläge seien für sie nicht in Frage gekommen. Fördermöglichkeiten in Umschulungsberufen mit
auf zwei Jahre verkürzbaren Ausbildungen habe sie ausdrücklich abgelehnt.
Die Klägerin hat am 19. November 2009 beim Sozialgericht einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt (S 14 AL 250/09 ER - am 17. Februar 2010 für erledigt erklärt) und am 20. November 2009 Klage erhoben. Nach den gesetzlichen Vorgaben sei
es unbeachtlich, wer die Finanzierung gewähre. Diese müsse lediglich zu Beginn der Maßnahme sichergestellt sein, was vorliegend
der Fall sei. Sie hat eine Bürgschaftserklärung ihrer Schwester vom 22. Dezember 2009 vorgelegt. Danach übernimmt diese die
selbstschuldnerische Bürgschaft für die Klägerin und trägt alle Kosten, die während des dritten Ausbildungsjahres zur Physiotherapeutin
entstehen. Ferner hat die Klägerin angegeben, dass ihre Schwester über einen Bausparvertrag verfüge, in den bisher 4.930,-
EUR eingezahlt worden seien. Darüber hinaus habe ihre Mutter einen Bausparvertrag in Höhe von 2.500,- EUR, in den noch weiter
eingezahlt werde. Ihre Schwester stehe in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Ihr sei aber mitgeteilt worden, dass sie ab
März 2010 unbefristet übernommen werde. Im Übrigen stehe ihre gesamte Familie hinter ihr. Sie selbst habe ihre Eltern und
ihre Schwester in den letzten sechs Jahren mit einem Betrag von 18.000,- EUR unterstützt und sei sich jetzt der Unterstützung
ihrer Familie sicher. Während des Verwaltungsverfahrens sei sie nicht darauf hingewiesen worden, dass sie die Finanzierung
auch durch Darlehen oder Bürgschaftserklärungen hätte sicherstellen können. Daher habe sie auch nicht bereits vor Ausbildungsbeginn
die Sicherstellung nachgewiesen. Eine von der Beklagten vorgeschlagene Ausbildung in einer Behindertenwerkstatt könne sie
nicht ausüben, weil sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen zu einer sitzenden Tätigkeit nicht in der Lage sei.
Auch verfüge sie nicht über die erforderliche Spannkraft, um täglich mit behinderten Menschen zu arbeiten. Sie habe der Beklagten
bereits im Juni 2009 mitgeteilt, dass sie die Ausbildung zur Physiotherapeutin machen wolle. Die Mitarbeiterin der Beklagten
in der Außenstelle habe ihr gesagt, dass dieser Ausbildung nichts mehr im Wege stehe. In I-Stadt sei von der Beklagten keine
Beratung in Bezug auf die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres erfolgt. Auch sei sie nicht auf ein Darlehen oder eine
Bürgschaftserklärung hingewiesen worden. Ferner hat die Klägerin eine Bescheinigung der Ausbildungsschule vom 12. Februar
2010 vorgelegt. Diese weist Ausbildungsnoten der Klägerin im guten und sehr guten Bereich aus.
Die Beklagte hat hingegen vorgetragen, dass die Förderung der von der Klägerin gewünschten Umschulung gemäß §
77 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB III nicht notwendig sei. Ferner habe die Klägerin vor Beginn der Ausbildung weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass sie die
Finanzierung der Ausbildung sowie des Lebensunterhalts im dritten Ausbildungsjahr sicherstellen könne.
Mit Urteil vom 17. Februar 2010 hat das Sozialgericht Gießen die Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Ausbildung
der Klägerin zur Physiotherapeutin bei dem Institut für berufsbezogene Erwachsenenbildung L. ab dem 12. Oktober 2009 für die
Dauer von zwei Jahren nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu fördern. Der Anspruch der Klägerin folge aus §§
97,
85 Abs.
2 Satz 3
SGB III und §
9 SGB IX. Unstreitig sei die Klägerin behindert im Sinne von §
97 Abs.
1 SGB III. Soweit die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung darauf stütze, dass eine Ausnahme gemäß §
85 Abs.
2 SGB III nicht vorliege, verkenne sie den Regelungsgehalt dieser Norm. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, mit der gesetzlichen
Regelung könne nur die Sicherstellung der Finanzierung durch den Maßnahmeträger selbst gemeint sein, finde weder im Wortlaut
noch in der Gesetzesbegründung eine Grundlage. Es widerspreche auch der gesetzlichen Intention, wenn alle Berufe, deren Ausbildungszeit
nicht um ein Drittel verkürzt werden können, nur deshalb aus der Förderung heraus fielen, weil nicht ersichtlich sei, dass
die Maßnahmenträger zur Übernahme der Ausbildungs- und Lebensunterhaltskosten für ihre Schüler während der Dauer eines Jahres
bereit seien. Die fragliche Maßnahme genüge im Übrigen den Anforderungen des §
85 Abs.
2 SGB III. Es handele sich um eine Vollzeitmaßnahme, die zu einem Abschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf führe.
Die Dauer sei angemessen, weil ein Fall nach §
85 Abs.
2 Satz 3
SGB III vorliege. Eine Verkürzung der Ausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit sei aufgrund bundes- oder landesgesetzlicher
Regelung ausgeschlossen. Auch die Finanzierung für die Gesamtdauer der Maßnahme sei gesichert. Die Bürgschaftserklärung der
Schwester der Klägerin sei ausreichend, um das dritte Lehrjahr abzusichern. Es sei nachgewiesen, dass die Schwester über entsprechende
Vermögenswerte verfüge. Dem Einwand der Beklagten, die Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres müsse bereits vor Beginn
der Ausbildung sichergestellt sein, sei nicht zu folgen. Die Klägerin habe zwar erst im Laufe des Verfahrens den Nachweis
einer sicheren Finanzierung erbracht. Die von ihr genannten Vermögenswerte seien jedoch auch schon zu Beginn der Ausbildung
vorhanden gewesen. Nach der gesetzlichen Regelung müsse lediglich die Finanzierung zu Beginn der Maßnahme gesichert sein.
Der Nachweis hierfür könne auch später erbracht werden. Der Klägerin könne zudem nicht vorgeworfen werden, die Ausbildung
trotz Information seitens des Reha-Beraters K., dass diese nicht förderbar sei, begonnen zu haben. Denn der Berater sei offensichtlich
von der falschen Annahme ausgegangen, dass nur eine institutionelle Förderung möglich sei. Daher sei sie falsch beraten worden,
so dass zusätzlich die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorlägen. Die anderen von der Beklagten
vorgeschlagenen Ausbildungen zur Arbeitserzieherin oder zur Fachkraft Arbeits- und Berufsförderung schieden hier aus, weil
sie nicht dem Wunsch und der Neigung der Klägerin entsprächen. Gemäß §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB IX sei bei der Entscheidung über die Leistung und bei Ausführung der Leistung zur Teilhabe berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten
zu entsprechen. Ferner sehe §
97 Abs.
2 Satz 1
SGB III vor, die Neigungen angemessen zu berücksichtigen. Die von der Beklagten angeführten geringeren Lehrgangskosten in den angeführten
zweijährigen Ausbildungen müssten im Hinblick auf diese gesetzlichen Vorgaben bei der Entscheidung zurücktreten. Die Klägerin
sei zudem für den Beruf einer Physiotherapeutin gesundheitlich geeignet. Die entsprechenden, von der Beklagten erst in der
mündlichen Verhandlung vorgebrachten Bedenken teile das Gericht im Hinblick auf das Gutachten nicht.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. März 2010 zugestellte Urteil am 14. April 2010 bei dem Hessischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, sie halte weiterhin daran fest, dass eine institutionelle Förderung Voraussetzung
gemäß §
85 Abs.
2 SGB III sei. Darüber hinaus sei aber auch eine individuelle Finanzierung nicht zu Beginn der Maßnahme sichergestellt gewesen. Bei
Ausbildungs- und Prüfungsgebühren von 4.580,- EUR jährlich zuzüglich der Lebensunterhaltskosten sei der Bausparvertrag der
Schwester der Klägerin in Höhe von 4.930,- EUR nicht zur Sicherstellung der Finanzierung ausreichend. Hinzu komme, dass die
Schwester der Klägerin sich zum damaligen Zeitpunkt noch in einem befristeten Arbeitsverhältnis befunden und damit ihre Zusage
keine ausreichende Sicherheit geboten habe. Die Mutter der Klägerin habe sich nicht verpflichtet. Die mittlerweile erfolgte
Finanzierung mit Hilfe der Schwester beweise nicht, dass dies von Anfang an als sicher habe gelten können. Zudem sei die Klägerin
aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu geeignet, als Physiotherapeutin zu arbeiten. Aufgrund der Rückenschäden dürfe sie
keine schweren Tätigkeiten ausüben und sei nur gelegentlich mittelschwer belastbar. Dies sei mit dem Berufsbild der Physiotherapeutin
nicht vereinbar. Als Physiotherapeutin habe sie zudem Kontakt mit Massageöl sowie Reinigungs- und Desinfektionsmittel. Auch
stelle die Behandlung von Unfallopfern und behinderten Menschen eine psychische Belastung dar. Mit Schreiben vom 10. März
2011 hat die Beklagte mitgeteilt, dass in Ausführung der erstinstanzlichen Entscheidung eine vorläufige Bewilligung der Leistung
erfolgen werde. Unter dem 28. Juli 2011 hat die Beklagte angegeben, dass die Auszahlung versehentlich noch nicht erfolgt sei,
nunmehr aber veranlasst werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Februar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend und führt an, dass ihre Schwester sie auch im zweiten Ausbildungsjahr finanziell
unterstützt habe. Damit habe sie bewiesen, dass die Finanzierung sichergestellt sei. Zudem hat sie auf ihr Zwischenzeugnis
vom 12. November 2010 verwiesen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 7. Juli
2011 zusammenfassend festgestellt, dass die Klägerin für die Tätigkeit einer Physiotherapeutin aus medizinischer Sicht geeignet
sei.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2011 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie noch immer keine Fördermittel erhalte und die finanzielle
Situation für sie mittlerweile unerträglich geworden sei. Sie habe sich für den Abbruch der Ausbildung entschieden und werde
im August 2011 wieder zu ihren Eltern zurückziehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten (L 1 AL 65/10 und S 14 AL 250/09 ER) sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die streitigen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Zu Recht hat das Sozialgericht Gießen mit dem angegriffenen Urteil
die Beklagte verurteilt, die Ausbildung der Klägerin zu fördern.
Gemäß §
97 Abs.
1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, die wegen Art oder Schwere
der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen
und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Bei der Auswahl der Leistungen sind gemäß §
97 Abs.
2 SGB III Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Bei der
streitigen Förderung handelt es sich gemäß §
100 SGB III um eine allgemeine Leistung, so dass gemäß §
99 SGB III die Vorschriften des ersten und vierten bis sechsten Abschnitts (§§
45 bis
47 und §§
57 bis
87 SGB III) Anwendung finden.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin im Sinne von §
97 SGB III behindert ist bzw. gemäß §
19 SGB III behinderten Menschen gleich steht. Ebenfalls unstreitig ist, dass eine Umschulung der Klägerin aufgrund deren gesundheitlicher
Beschwerden erforderlich ist. Ihren früheren Beruf kann sie nicht mehr ausüben. Einen anderen Beruf hat sie nicht erlernt.
Zudem handelt es sich bei der Ausbildung zur Physiotherapeutin unstreitig um eine Maßnahme gemäß §
85 Abs.
2 SGB III. Nach dieser Vorschrift ist die Dauer einer Vollzeitmaßnahme, die zum Anschluss in einem allgemein anerkannten Ausbildungsberuf
führt, angemessen, wenn sie gegenüber einer entsprechenden Berufsausbildung um mindestens ein Drittel der Ausbildungszeit
verkürzt ist. Ist eine solche Verkürzung aufgrund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen, so ist die Förderung
eines Maßnahmeteils von bis zu zwei Dritteln der Maßnahme nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung
für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist (§
85 Abs.
2 Satz 3
SGB III).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Förderung auch nicht mangels institutioneller Förderung ausgeschlossen. Mit
der Regelung in §
85 Abs.
2 Satz 3
SGB III soll vermieden werden, dass entsprechende Weiterbildungen bei Beendigung der Förderung durch die Beklagte aus finanziellen
Erwägungen abgebrochen werden müssen (BT-Drucks. 14/6944 S. 35). Dabei muss die Finanzierung der gesamten Maßnahme jedoch
nicht institutionell gesichert sein. Insbesondere muss das dritte Ausbildungsjahr nicht durch den Maßnahmeträger finanziert
werden. Vielmehr kann die Sicherung auch durch eigene Mittel des Teilnehmers oder durch Dritte erfolgen. Hinsichtlich der
Finanzierung durch Dritte folgt dies bereits aus der Gesetzesbegründung, wonach die Finanzierung "z.B. durch Leistungen Dritter
gesichert sein" kann (BT-Drucks. 14/6944 S. 35). Nichts anderes ergibt sich für die Sicherstellung durch den Teilnehmer selbst
(vgl. Hessisches LSG, Beschlüsse vom 6. November 2008 - L 9 AL 158/08 B ER -, vom 28. April 2009 - L 7 AL 118/08 B ER - und vom 28. Januar 2010 - L 6 AL 167/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - L 14 AL 315/09 B; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Juni 2008 - L 3 AS 39/07; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - L 9 AS 529/08 ER; Stratmann in: Niesel/Brand,
SGB III, Kommentar, 5. Aufl., §
85 Rn. 13).
Die Finanzierung durch Dritte bzw. die Klägerin war auch bereits zu Beginn der Maßnahme gesichert. Ob der entsprechende Nachweis
zu diesem Zeitpunkt erbracht sein muss, kann vorliegend dahinstehen. Denn die Beklagte hat ihren ablehnenden Bescheid mit
der fehlenden institutionellen Sicherung der Finanzierung begründet und von der Klägerin auch im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens
den Nachweis der individuellen finanziellen Absicherung nicht gefordert. Erst während des Klageverfahrens ist auf diese Voraussetzung
aufmerksam gemacht worden. Daraufhin hat die Klägerin entsprechende Unterlagen vorgelegt. Diese Unterlagen weisen zwar keine
großzügige finanzielle Absicherung auf. Insoweit sind aber auch keine überspannten Anforderungen zu stellen. Die Schwester
der Klägerin war zum damaligen Zeitpunkt befristet beschäftigt und erhielt einen monatlichen Nettolohn zwischen 1.311,67 EUR
(Januar 2010) und 1.775,41 EUR (November 2009). In ihren Bausparvertrag waren zum damaligen Zeitpunkt 4.930,- EUR eingezahlt.
Im Hinblick auf die familiäre Verbundenheit - insbesondere auch infolge der vorherigen Unterstützung der Familie durch die
Klägerin - ist die Bürgschaft der Schwester der Klägerin eine ausreichende Sicherung der Finanzierung eines Ausbildungsjahres.
Diese Einschätzung wird aufgrund der Entwicklung in den vergangenen Jahren bestätigt. Denn die Klägerin hat mit der finanziellen
Unterstützung ihrer Familie - insbesondere ihrer Schwester - die Kosten für knapp zwei Jahre Ausbildung einschließlich der
Lebenshaltungskosten aufgebracht. Bei der prognostischen Entscheidung über die finanzielle Absicherung kommt es zwar auf den
Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens an. Eine etwaige negative Prognose wird jedoch durch die erfolgreiche
Finanzierung eines entsprechenden Zeitraums widerlegt (vgl. Keller, aaO., § 97 Rn. 66 zur Prognose der Eignung).
Der Antrag ist vor Beginn der Teilnahme an der Weiterbildungsmaßnahme und damit rechtzeitig gestellt worden (vgl. Keller,
Nomos Großkommentar,
SGB III, §
97 Rn. 32).
Die Klägerin ist ferner für den Beruf einer Physiotherapeutin geeignet. Ausweislich des Gutachtens von Dr. L. vom 7. Juli
2011 leidet die Klägerin an einem Beckenschiefstand, der jedoch innerhalb der biologischen Spannbreite liegt. Die bei der
Klägerin bestehende unterdurchschnittliche Einsattelung der Halswirbelsäule führt zu keiner Funktionsstörung. Nach der überzeugenden
Darlegung des Sachverständigen ergeben sich hieraus ebenso wie aus der diagnostizierten Schilddrüsenfunktionsstörung keine
Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit der Klägerin im Erwerbsleben, so dass die gesundheitliche Eignung vorliegt.
Andere Gesichtspunkte, die der Geeignetheit entgegenstehen könnten, sind nicht erkennbar.
Gemäß §§
3 Abs.
5,
97 Abs.
1 SGB III handelt es sich bei den allgemeinen Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben um Ermessensleistungen.
Der Ermessensspielraum der Beklagten ist vorliegend jedoch auf Null reduziert.
Das sehr begrenzte Ermessen hinsichtlich der Frage, ob überhaupt Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben gewährt
werden (vgl. hierzu Keller, aaO., §
97 Rn. 51 f.; Luik in: Eicher/Schlegel,
SGB III, §
97, Rn. 55 f.), hat die Beklagte zugunsten der Klägerin ausgeübt. So hat sie entsprechende Leistungen nicht abgelehnt, sondern
eine Förderung hinsichtlich anderer Ausbildungen angeboten.
Anders gestaltet sich dies hinsichtlich der Ermessensentscheidung über die Art der Leistungen zur Förderung der Teilhabe am
Arbeitsleben. Insoweit steht der Beklagten prinzipiell ein Auswahlermessen zu. Bei der Auswahlentscheidung sind allerdings
die in §
97 Abs.
1 SGB III und §
33 Abs.
1 SGB IX genannten Ziele, die in §
97 Abs.
2 SGB III und §
33 Abs.
4 SGB IX genannten Kriterien und die allgemeinen Grundsätze des
SGB IX sowie die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu beachten. Die berechtigten Wünsche des behinderten Menschen sind im Hinblick
auf §
9 SGB IX und Art.
12 Grundgesetz (
GG) möglichst zu berücksichtigen, ebenso die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, §
7 Satz 1
SGB III (vgl. Luik, aaO., Rn. 60).
Unter Beachtung des Individualisierungsgebotes ist die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung zu wählen. Dabei ist
vorrangig auf die Fähigkeit der zu fördernden Person und die Erfolgsaussichten einer Eingliederung abzustellen. Eine Leistung
darf nicht bloß mit der Begründung versagt werden, es sei eine konkrete Leistung beantragt worden, es gäbe aber andere Möglichkeiten,
das Eingliederungsziel zu erreichen. Die Beklagte muss erwägen, ob dieses mit anderen Mitteln erreicht werden kann (BSG, Urteil
vom 15. Oktober 1981 - 5b/5 RJ 96/79 = SozR 2200 § 1236 Nr. 35; Karmanski, in: Niesel/Brand,
SGB III, 5. Aufl., §
97 Rn. 9). Aus der Verpflichtung zur Beachtung der Erfolgsaussichten folgt ebenso wie aus der Zielvorgabe, eine möglichst dauerhafte
Eingliederung zu erreichen, dass zwischen mehreren Leistungen, welche voraussichtlich die Erwerbsfähigkeit steigern, möglichst
diejenige zu wählen ist, welche die größte Wahrscheinlichkeit der dauerhaften Eingliederung bietet (Lauterbach, in: Gagel,
SGB II/SGB III, §
97 SGB III, Rn. 54).
Bei der Ermessensentscheidung sind gemäß §
97 Abs.
2 Satz 1
SGB III die Neigungen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass durch den Berufswunsch die
Motivation des behinderten Menschen und damit die Erfolgsaussichten der Eingliederung in das Erwerbsleben entscheidend beeinflusst
werden, von besonderer Bedeutung (vgl. Keller, aaO., §
97 Rn. 56). Auch gemäß §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB IX ist den Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen. Überragende Zielbestimmung der Leistungen zur Teilhabe im Sinne
des
SGB IX ist die Förderung der Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Eine wesentliche Ausprägung dieser
Zielsetzung ist die besondere Hervorhebung der Wunsch- und Wahlrechte der Leistungsberechtigten. Die Rehabilitationsträger
sind verpflichtet, bei der Entscheidung über die Leistungen zur Teilhabe den berechtigten Vorstellungen der Leistungsberechtigten
zu entsprechen (vgl. Götz in: Kossens/von der Heide/Maaß,
SGB IX, 3. Aufl., §
9 Rn. 2 f.; Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, 12. Aufl., §
9 Rn. 1 f.). Bereits vor dem Inkrafttreten des
SGB IX waren die angemessenen Wünsche der Betroffenen gemäß §
33 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Mit der wiederholten gesetzlichen Benennung der Wünsche der Rehabilitanden kommt
diesem Kriterium ein besonderer Stellenwert zu und ist maßgeblich zu berücksichtigen (vgl. Götz, aaO., § 9 Rn. 7). Die Bedeutung
der Wünsche der Leistungsberechtigen bei der Entscheidung über die Auswahl der Leistung wird auch im Hinblick auf die grundrechtlich
geschützte Berufsfreiheit gemäß Art.
12 Abs.
1 GG deutlich. Diese Verfassungsnorm begründet zwar keinen Leistungsanspruch. Sie ist jedoch als Auslegungsmaßstab im Rahmen der
§§
97 ff.
SGB III zu beachten (vgl. Luik, aaO.,
SGB III, Vor §§
97 - 115, Rn. 48 f.; BSG, Urteil vom 28. März 1990 - 9b/7 Rar 92/88 = BSGE 66, 275 ff.). Dies gilt in besonderem Maße, wenn sich die Neigung tatsächlich zu einer entschiedenen Berufswahl verdichtet hat (BSG,
Urteil vom 3. Juli 1991 - 9b/7 Rar 142/89 = BSGE 69, 128 ff.; Großmann in Hauck/Noftz,
SGB III, K §
97 Rn. 94). Die Beklagte ist zwar auch berechtigt und verpflichtet, finanzielle Erwägungen anzustellen (§
7 Satz 1
SGB III). Wesentlich ist jedoch dabei, welche Leistung die größte Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Teilhabe am Arbeitsleben bietet
(Keller, aaO., § 97 Rn. 55).
Dabei kann sich in Einzelfällen eine Ermessensreduzierung auf Null ergeben. Diese kann insbesondere dann vorliegen, wenn von
der Beklagten zu verantwortende zeitliche Verzögerungen eintreten (vgl. Lauterbach, Gagel,
SGB III, §
97 Rn. 60). Denn die zügige und lückenlose Durchführung der Rehabilitation ist für die Sicherstellung des Erfolgs von großer
Bedeutung. Die möglichst baldige Eingliederung des behinderten Menschen ist Ziel der Maßnahmen. Verzögerungen können zur Demotivation
des Betreffenden führen. Dieser verliert bei sachlich nicht begründeten Verzögerungen nicht nur "Lebenszeit", sondern muss
auch eine Minderung seiner Eingliederungsaussichten hinnehmen. Gerade bei Maßnahmen der beruflichen Teilhabe gilt deshalb,
dass oft eine rasche Entscheidung getroffen werden muss, um Nachteile zu verhindern (Lauterbach, aaO., § 97 Rn. 60). Bei sachlich
nicht gerechtfertigten Verzögerungen kann das Ziel der dauerhaften Eingliederung gefährdet sein. Dem behinderten Menschen
kann angesichts der fortschreitenden Lebenszeit, ungenutzter Chancen und einer fortdauernden Abhängigkeit von öffentlichen
Leistungen (Arbeitslosengeld oder Rente) zudem ein Abwarten bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Berechtigung
nicht zugemutet werden. Auch nimmt mit zunehmendem Erwerb neuer Kenntnisse in einer selbst begonnenen Maßnahme das Gewicht
von Neigung und Eignung zu und es vermehren sich die berücksichtigungsfähigen Kenntnisse im Hinblick auf die begonnene Ausbildung
(BSG, Urteil vom 28. März 1990 - 9b/7 Rar 92/88 = BSGE 66, 275 ff.). Daraus kann folgen, dass sich der Anspruch des behinderten Menschen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu einem
Pflichtanspruch auf eine bestimmte Leistung verdichtet (vgl. Luik, aaO., Rn. 59 mwN).
Nach diesen Maßstäben ist vorliegend von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. Die Beklagte hat mit Bescheid vom
4. September 2009 den Antrag der Klägerin auf die streitige Förderung lediglich unter Verweis auf das Fehlen einer institutionellen
Absicherung der Finanzierung abgelehnt. Wie oben dargelegt, ist dies jedoch kein rechtmäßiger Ablehnungsgrund. Die durch diesen
rechtswidrigen Bescheid eingetretene zeitliche Verzögerung ist von der Beklagten zu vertreten. Um nicht ein ganzes Jahr zu
verlieren, hat die Klägerin trotz dieser ablehnenden Entscheidung die Ausbildung zum 12. Oktober 2009 begonnen. Mit Widerspruchsbescheid
vom 30. Oktober 2009 hat die Beklagte an ihrer bisherigen Begründung festgehalten. Zudem hat sie darauf verwiesen, dass die
Klägerin Fördermöglichkeiten in Umschulungsberufen mit auf zwei Jahre verkürzbare Ausbildungen abgelehnt habe. Bei den angebotenen
Ausbildungen zur Arbeitserzieherin bzw. zur Fachkraft Arbeits- und Berufsförderung handelt es sich jedoch um völlig andere
Berufsausbildungen als die von der Klägerin gewählte Ausbildung. Die Klägerin hat sich nach entsprechenden Betriebspraktika
für die Ausbildung zur Physiotherapeutin entschieden. Die Gründe, mit welchen sie die von der Beklagten angebotenen Ausbildungen
abgelehnt hat, sind nachvollziehbar. So möchte sie aus gesundheitlichen Gründen keine sitzende Tätigkeit ausüben. Ferner fehle
ihr die erforderliche Spannkraft, um täglich mit behinderten Menschen zu arbeiten. Die Beklagte hingegen hat lediglich darauf
verwiesen, dass die von ihr vorgeschlagenen Ausbildungen günstiger seien. Arbeitsmarktpolitische Erwägungen, die dem Eingliederungserfolg
entgegenstehen könnten, hat sie nicht vorgebracht. Die im weiteren Verlauf des Verfahrens angeführten Erwägungen der Beklagten
- fehlende medizinische Geeignetheit und unzureichende individuelle finanzielle Absicherung - sind, wie bereits ausgeführt,
widerlegt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits vor Beginn der Ausbildung eine Übernahmezusage
seitens der Praxis C. erhalten hat. Die Eingliederungsprognose der Klägerin in das Arbeitsleben nach erfolgreichem Abschluss
der Ausbildung zur Physiotherapeutin war daher während des Verwaltungsverfahrens als äußerst günstig zu bewerten. Dass die
Klägerin nunmehr die Ausbildung abgebrochen hat, ist vorrangig auf ihre angespannte finanzielle Situation zurückzuführen,
die auf die rechtswidrige Entscheidung der Beklagten und auf trotz entsprechender Zusage erst mehrere Monate später erfolge
Zahlung zurückzuführen. Hinsichtlich der - zunächst - positiven Eingliederungsprognose ist der erfolgte Ausbildungsabbruch
ohne Relevanz.
Die Leistung ist der Klägerin aufgrund eines Kostenerstattungsanspruchs gemäß §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX zuzusprechen, da die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl. Keller, aaO., § 97 Rn. 91; BSG, Urteil vom 28.
März 1990 - 9b/7 Rar 92/88 = BSGE 66, 275 ff. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des
SGB IX). Da die Klägerin die Ausbildung abgebrochen hat, war der Erstattungsanspruch auf die entstandenen Kosten zu begrenzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.