Anspruch auf Krankengeld; Begrenzung der Dauer einer in einem Auszahlschein bescheinigten Arbeitsunfähigkeit
Hat ein Arzt in einem Auszahlschein für Krankengeld Arbeitsunfähigkeit "bis auf weiteres" bescheinigt, hat er die Dauer der
bestätigten Arbeitsunfähigkeit i.d.R. auch dann nicht auf einen Endzeitpunkt begrenzt, wenn er in dem Auszahlschein den nächsten
Untersuchungstermin angegeben hat.
Hat ein Arzt in einem Auszahlschein für Krankengeld Arbeitsunfähigkeit "bis auf weiteres" bescheinigt, hat er die Dauer der
bestätigten Arbeitsunfähigkeit in der Regel auch dann nicht auf einen Endzeitpunkt begrenzt, wenn er in dem Auszahlschein
den nächsten Untersuchungstermin angegeben hat. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Gründe:
I. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren S 14 KR 303/11 (Sozialgericht - SG - Mainz).
Der 1957 geborene Kläger war seit dem 22.9.2010 als Bezieher von Arbeitslosengeld bei der Beklagten krankenversichert. Ab
dem 9.12.2010 bescheinigte ihm sein Hausarzt P wegen Schwindelerscheinungen Arbeitsunfähigkeit, worauf die Beklagte ihm Krankengeld
gewährte. Mit Auszahlschein vom 8.4.2011 bestätigte sein Hausarzt aufgrund einer Untersuchung vom selben Tag handschriftlich
Arbeitsunfähigkeit "bis auf weiteres"; als "nächsten Praxisbesuch" gab er den 30.4.2011 an. Auf diesem Auszahlschein ist handschriftlich
hinzugefügt: "30.4. = Samstag; neu: 2.5.2011". Im folgenden Auszahlschein vom 2.5.2011 (eingegangen bei der Beklagten am selben
Tag) hielt der Arzt P fest, der Kläger habe sich zuletzt am 2.5.2011 vorgestellt; er sei "noch arbeitsunfähig" bis auf weiteres.
Mit Schreiben vom 3.5.2011 lehnte die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Krankengeld ab dem 1.5.2011 ab, da dessen Mitgliedschaft
mit Anspruch auf Krankengeld am 30.4.2011, dem letzten Tag der mit dem Auszahlschein vom 8.4.2011 bestätigten Arbeitsunfähigkeit,
geendet habe, weil Dr P erst am 2.5.2011 weitere Arbeitsunfähigkeit bescheinigt habe. Die Beklagte wies den hiergegen eingelegten
Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 12.7.2011 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger habe keinen
Anspruch auf Krankengeld für die Zeit ab dem 1.5.2011, weil er nicht mehr Mitglied bei ihr sei, Da er einen Fragebogen wegen
eines Anspruchs nach §
19 Abs
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) nicht ausgefüllt habe, sei diesbezüglich eine weitere Klärung nicht möglich.
Am 22.7.2011 hat der Kläger Klage erhoben und PKH für das Klageverfahren beantragt. Das SG Mainz hat durch Beschluss vom 11.11.2011
die Bewilligung von PKH abgelehnt und zur Begründung dargelegt: Die Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der
Kläger habe keinen Anspruch auf Krankengeld über den 30.4.2011 hinaus. Voraussetzung für seinen Anspruch wäre die ununterbrochene
Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Hieran fehle es aber für den 1.5.2011, da der Arzt P erst am 2.5.2011 wieder Arbeitsunfähigkeit
festgestellt habe. Deshalb habe die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten am 30.4.2011 geendet. Der nachgehende Versicherungsschutz
nach §
19 Abs
2 SGB V komme ihm nicht zugute. Dieser sei gegenüber der Pflichtversicherung nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V, deren Voraussetzungen beim Kläger erfüllt seien, subsidiär. Eine Versicherung nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V begründe keinen Anspruch auf Krankengeld.
Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 24.11.2011 Beschwerde eingelegt.
II. Die nach §§
171,
172 SGG zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger steht für das Klageverfahren S 14 KR 303/11 PKH zu; der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben.
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld (§
44 SGB V) für die Zeit ab dem 1.5.2011 kann nicht deshalb verneint werden, weil es an der erforderlichen ärztlichen Bescheinigung
der Arbeitsunfähigkeit fehlt. Ein Anspruch auf Krankengeld setzt zwar grundsätzlich voraus, dass der Versicherte die Arbeitsunfähigkeit
vor der Inanspruchnahme auf Krankengeld angezeigt hat (zur ausnahmsweisen Möglichkeit der nachträglichen Mitteilung vgl BSG
8.11.2005 - B 1 KR 30/04 R); dies gilt auch bei Fortzahlung des Krankengeldes nach dem Ablauf der vorherigen Befristung der Krankschreibung (BSG 8.2.2000
- B 1 KR 11/99 R, juris Rn 17). Der Kläger ist jedoch seiner diesbezüglichen Obliegenheit nachgekommen. Der Arzt P hat ihm im Auszahlschein
vom 8.4.2011 Arbeitsunfähigkeit nicht bis zu einem konkret bestimmten Endzeitpunkt, sondern ausdrücklich anstelle eines solchen
"bis auf weiteres" bescheinigt (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung vgl LSG Niedersachsen-Bremen 11.1.2011 - L 4 KR 446/09, juris Rn 25). Indem er den 30.4.2011 als Zeitpunkt des nächsten Praxisbesuchs angegeben hat, hat der Arzt P die Dauer der
bestätigten Arbeitsunfähigkeit nicht auf diesen Zeitpunkt begrenzt. Die rechtliche Bedeutung des Auszahlscheins vom 2.5.2011
in Bezug auf die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit am 1.5.2011 kann daher auf sich beruhen.
Einer weiteren Aufklärung, warum der Arzt P den Kläger nicht am 30.4.2011, sondern erst am 2.5.2011 untersucht hat (möglicherweise
wegen versehentlicher Einbestellung am 30.4.2011, einem Samstag), bedarf es daher nicht. Das SG wird festzustellen haben, ob - und bejahendenfalls wie lange - der Kläger im Zeitraum ab dem 1.5.2011 arbeitsunfähig krank
war.
Unabhängig davon hätte die Klage auch dann Aussicht auf Erfolg, wenn es für den 1.5.2011 an einer wirksamen Bestätigung der
Arbeitsunfähigkeit fehlen würde. Denn in diesem Fall käme ein nachgehender Versicherungsschutz nach §
19 Abs
2 SGB V in Betracht. Ob die Anwendung dieser Vorschrift wegen eines Versicherungsschutzes nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V ausgeschlossen ist (verneinend LSG für das Saarland 19.10.2011 - L 2 KR 73/10), ist eine schwierige, bisher nicht geklärte Rechtsfrage; bei einer solchen Sachlage ist die Erfolgsaussicht der Klage zu
bejahen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
73a Rn 7b).
Da der Kläger auch prozesskostenhilfebedürftig (§
114 ZPO) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (§
121 ZPO), ist ihm PKH zu bewilligen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
127 Abs
4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).