Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Voraussetzungen einer Einigungsgebühr bei der Annahme eines
Vergleichsvorschlags
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für das Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt (L 3 R 249/09) streitig.
Im Hauptsacheverfahren war die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (im Weiteren: Beklagte) vom Sozialgericht Magdeburg
verurteilt worden, dem vom Erinnerungsführer (Ef.) vertretenen Versicherten (im Folgenden: Kläger) Rente wegen Erwerbsminderung
bis zum 9. Oktober 2010 zu zahlen. Hiergegen hatte die Beklagte Berufung eingelegt mit der Begründung, zum einen sei der Kläger
weder voll noch teilweise erwerbsgemindert und zum anderen seien Rentenbeginn und Rentenende vom Sozialgericht rechtswidrig
bestimmt worden. Mit Beschluss vom 12. April 2010 wurde dem Kläger für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung des Ef. bewilligt. Unter dem 22. August 2010 machte der Ef. Rechtsanwaltskosten
in Höhe von 392,70 EUR geltend (Verfahrensgebühr, Nr. 3204 VV in Höhe von 310,00 EUR, Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen,
Nr. 7002 VV in Höhe von 20,00 EUR, sowie 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV in Höhe von 62,70 EUR). Dieser Betrag ist als Vorschusszahlung
am 25. August 2010 an den Ef. angewiesen worden.
Im Hauptsacheverfahren unterbreitete die Beklagte nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch den
Senat von Dr. S. vom 11. März 2011 ein Vergleichsangebot, wonach bei dem Kläger seit dem 24. Juni 2010 volle Erwerbsminderung
vorliege und Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2010 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften gezahlt werde.
Außergerichtliche Kosten des Klägers würden unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 4. April 2006 - L 3 B 19/05 RJ - nicht übernommen, da der Leistungsfall erst im Berufungsverfahren eingetreten sei und die Beklagte ein sachgerechtes
Vergleichsangebot abgegeben habe. Dieser Vergleichsvorschlag ist dem Ef. unter dem 8. Juni 2011 mit dem Hinweis der Berichterstatterin
übersandt worden, der Vorschlag dürfte voll umfänglich dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme bzw. der ständigen Rechtsprechung
des Senats entsprechen; es werde angefragt, ob der Vergleichsvorschlag der Beklagten angenommen werde. Daraufhin nahm der
Ef. den Vergleichsvorschlag der Beklagten am 1. Juli 2011 an.
Gleichzeitig hat er die Festsetzung der Einigungsgebühr Nrn. 1005, 1000 VV in Höhe von 280,00 EUR sowie 19 % Umsatzsteuer,
Nr. 7008 VV in Höhe von 53,20 EUR, und damit in Höhe von weiteren 333,20 EUR beantragt. Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss
vom 25. Juli 2011 hat der Erinnerungsgegner (Eg.) die zu erstattende Vergütung auf 392,10 EUR festgesetzt und den Antrag auf
Festsetzung der weiteren Vergütung in Höhe von 333,20 EUR zurückgewiesen. Die Einigungsgebühr sei im vorliegenden Verfahren
nicht entstanden. Nach Vorlage des vom Gericht eingeholten Gutachtens habe die Beklagte einen Vergleichsvorschlag unter dem
30. Mai 2011 unterbreitet, der mit Schriftsatz des Ef. vom 29. Juni 2011 angenommen worden sei. Die für die Entstehung der
Einigungsgebühr notwendige besondere anwaltliche Mitwirkungspflicht sei nicht erkennbar und auch nicht gesondert vorgetragen
worden. Es verbleibe damit bei der Festsetzung in Höhe der Vorschusszahlung vom 25. August 2010.
Gegen den ihm am 28. Juli 2011 zugestellten Beschluss ist am gleichen Tag Erinnerung eingelegt worden. Zur Begründung wird
ausgeführt, auf die gerichtliche Verfügung vom 8. Juni 2011 sei eine erneute sachliche und rechtliche Prüfung erfolgt, da
das Sozialgericht bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Gewährung einer Rente zugebilligt hatte. Auch die in der Verfügung
angesprochene Rechtsprechung sei geprüft worden. Sodann sei mit dem Mandanten die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Dieser
habe sich schließlich mit dem Vergleich einverstanden erklärt. Es bestehe ein Anspruch auf die Einigungsgebühr in Höhe der
Mittelgebühr.
Der Ef. beantragt,
die ihm zustehende Gebühr mit insgesamt 690,20 EUR festzusetzen.
Der Eg beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Der Eg. hält an der Auffassung fest, dass die Erledigungsgebühr nicht angefallen sei. Eine explizite Mitwirkung an der Gestaltung
des Vergleichs sei ebenso wie ein besonderes Bemühen um die unstreitige Erledigung des Rechtsstreits zu erkennen.
II. Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Erinnerung ist begründet.
Für die Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe im Rechtsstreit L 3 R 249/09 hat der Ef. Anspruch gegen die Staatskasse auf Zahlung der von ihm beantragten 690,20 EUR. Dieser Anspruch beruht auf § 45
Abs. 1, § 48 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Über den unter dem 25. Juli 2011 festgesetzten Zahlbetrag in Höhe von 392,70 EUR hinaus kann der Ef. die Zahlung von weiteren
297,50 EUR verlangen.
Die Höhe der Verfahrensgebühr, der Pauschale für Post- und Telekommunikationsleistungen sowie 19 % Umsatzsteuer sind zutreffend
mit 392,70 EUR festgesetzt worden. Hierüber besteht kein Streit.
Darüber hinaus hat der Ef. Anspruch auf Festsetzung einer Einigungsgebühr. Die Voraussetzungen für die Einigungsgebühr sind
gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. Nrn. 1007, 1005, 1000 VV RVG erfüllt. Nach der amtlichen Anmerkung zu Nr. 1000 VV RVG entsteht die Gebühr "für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis
beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht" (Abs. 1
Satz 1). Während die frühere Vergleichsgebühr des § 23 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) durch Verweisung auf §
779 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ein gegenseitiges Nachgeben vorausgesetzt hatte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits
der Parteien honorieren und so die frühere Vergleichsgebühr nicht nur ersetzen, sondern gleichzeitig inhaltlich erweitern
(so die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/1971 S. 147). Für die Einigungsgebühr kommt es somit darauf an, ob es im jeweiligen
Streitverfahren zum Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG gekommen ist, und ob nicht der Ausschlusstatbestand des letzten Halbsatzes des Satzes 1 greift.
Hier hat der Ef. durch die Annahme des von der Beklagten unterbreiteten Vergleichsangebots den Streit über den Rentenanspruch
dem Grunde nach sowie über den Beginn und das Ende des Rentenanspruchs beseitigt. Er hat zutreffend darauf hingewiesen, dass
das Sozialgericht dem Kläger ab Rentenantragstellung im Oktober 2006 bis zum 9. Oktober 2010, d.h. für einen Zeitraum von
vier Jahren vor Eintritt des nunmehr von der Beklagten angenommenen Eintritt des Leistungsfalls, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
zugesprochen hatte. Er hatte den Hinweis der Berichterstatterin einschließlich der erwähnten Rechtsprechung zur Übernahme
der Kosten im Berufungsverfahren zu prüfen und mit dem Kläger abzustimmen, ob es günstiger wäre, das Vergleichsangebot, in
dem er einerseits auf einen Großteil der vom Sozialgericht zugebilligten Ansprüche verzichtete, andererseits die von der Beklagten
überwiegend für die Zukunft angebotene Rente erhalten sollte, anzunehmen oder eine gerichtliche Entscheidung über den ab Oktober
2006 geltend gemachten Rentenanspruch weiterzuverfolgen. Angesichts der Aktenlage ist es offensichtlich und bedurfte keiner
gesonderten Darlegung, dass der Prozessbevollmächtigte des Ef. die Sach- und Rechtslage umfangreich zu prüfen, die Risiken
und Vorteile des Vergleichsabschlusses abwägen und die Entscheidung gegenüber seinem Mandanten zu vertreten hatte.
Ausgehend von der Mittelgebühr der Einigungsgebühr nach Nrn. 1007, 1000 VV (40 bis 460,00 EUR) in Höhe von 250,00 EUR zuzüglich
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV in Höhe von 47,50 EUR war ein weiterer Gebührenanspruch in Höhe von 297,50 EUR entstanden.
Dem Antrag des Ef. entsprechend war dieser Betrag festzusetzen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).