Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beklagte das Merkzeichen RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) entziehen
durfte.
Der am ... 1978 geborene Kläger erlitt im Mai 2001 auf dem Weg zur Arbeit einen Motorradunfall, der zu einer kompletten Querschnittslähmung
geführt hat. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 stellte der Beklagte aufgrund einer vollständigen Brustmarkschädigung mit Lähmung
der Beine einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit
im Straßenverkehr), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und H (hilflos) fest. Am
24. Januar 2002 beantragte der Kläger das Merkzeichen RF, da er bis fünfmal täglich unkontrollierten Stuhlabgang habe. Nach
dem Befundschein der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Kliniken B. H. vom 13. Februar 2002 habe aktuell keine Geruchsbelästigung
vorgelegen, allerdings sei eine solche aufgrund der Stuhlinkontinenz nicht sicher auszuschließen. In der beigelegten Epikrise
vom 4. Februar 2002 der Klinik waren eine neurogene Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung diagnostiziert worden. Der Beklagte
lehnte zunächst die Feststellung des Merkzeichens RF mit Bescheid vom 9. April 2002 ab. Dagegen legte der Kläger am 24. April
2002 Widerspruch ein und trug vor, die Geruchsbelästigung durch die unkontrollierte Darmentleerung könne er anderen Menschen
nicht zumuten. Mit Abhilfebescheid vom 31. Mai 2002 stellte der Beklagte das Merkzeichen RF fest.
Im Rahmen einer Nachuntersuchung von Amts wegen zog der Beklagte mehrere neuro-urologische Befundberichte der BG Kliniken
B. bei. Mit Bericht vom 11. Juli 2005 wurde weiterhin eine neurogene Blasen- und Mastdarmfunktionsstörung diagnostiziert.
Die Blasenentleerung erfolge vier bis fünfmal täglich durch Katheterungen. Dazwischen bestehe meist Kontinenz. Zur Sicherheit
werde tagsüber außer Haus und nachts ein Urinalkondom getragen. Die Stuhlentleerung erfolge alle vier Tage über die Toilette
nach indirektem Darmempfinden ohne Laxanzien (Abführmittel). Es liege eine sichere Kontinenz vor. Die Berichte der BG Kliniken
B. vom 10. November 2005 und 14. Juni 2006 beschrieben einen unveränderten Befund. Auch im Bericht vom 9. Oktober 2006 wurde
eine unveränderte Situation hinsichtlich der Harninkontinenz dargestellt. Außerdem wurde mitgeteilt, die Stuhlentleerung erfolge
aller fünf bis sechs Tage nach Gefühl. Dann werde die Spastik geringer und es trete ein Schwitzen im Bauchbereich auf. Adjuvantien
(Hilfsmittel) würden nicht benutzt. Gelegentlich werde manuell am Bauch gedrückt. Es erfolge kein Nachtasten und kein Ausräumen.
Zwischen den Stuhlentleerungen läge keine Stuhlinkontinenz vor. Mit Bericht vom 9. Februar 2007 wurde ausgeführt, zwischen
den Katheterungen liege keine Harninkontinenz vor. Die Stuhlentleerungen erfolgten alle fünf bis sechs Tage nach Gefühl ohne
Hilfsmittel. Dazwischen bestehe keine Inkontinenz. Zusammenfassend sei bei vollständiger Kontinenz im Alltag von einer akzeptablen
Situation auszugegehen.
Der Beklagte ließ die Befundberichte durch seinen ärztlichen Dienst auswerten. Dipl.-Med. W. stellte eine Besserung der neurogenen
Harnblasen- und Mastdarmfunktionsstörungen durch eine Therapieoptimierung fest. Bei vollständiger Kontinenz im Alltag lägen
die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht mehr vor. Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19. Oktober
2007 zum beabsichtigten Entzug des Merkzeichens RF an. Mit Bescheid vom 22. November 2007 entzog er das Merkzeichen RF ab
1. Dezember 2007.
Daraufhin trug der Kläger mit seinem Widerspruch vom 21. Dezember 2007 vor, die Stuhlinkontinenz sei unberechenbar und habe
sich keineswegs verbessert. Der Zeitpunkt der Darmentleerung komme immer wieder unvorhersehbar und unkontrollierbar. Häufig
komme es mehrmals am Tag zu einer durchfallartigen Darmentleerung. Dies sei jedes Mal mit einer enormen Geruchsbelästigung
für die Umgebung verbunden. Diese Situation belaste ihn auch psychisch sehr. Nach nochmaliger Beteiligung seines ärztlichen
Dienstes wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2009 den Widerspruch des Klägers zurück.
Dagegen hat der Kläger am 3. März 2009 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhoben. Dazu hat er die Rechtsantragsstelle des SG aufgesucht und zunächst aus seinen Widerspruch verwiesen. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17. August 2009 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Harnblasen- und Mastdarmfunktionsstörung
habe sich nach den Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers gebessert. Nunmehr liege eine vollständige Kontinenz im Alltag
vor. Damit lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht mehr vor.
Gegen den ihm am 19. August 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am Montag, den 21. September 2009, Berufung
beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung trägt er vor: Zwar sei eine gewisse Regelmäßigkeit
der Zeiträume zwischen den Stuhlentleerungen zu verzeichnen. Doch könne es durchaus sein, dass er bereits beispielsweise nach
zwei Tagen wieder das Gefühl habe, eine Toilette aufsuchen zu müssen. Diesem Gefühl müsse er unverzüglich nachgehen, da es
sonst zu Geruchsbelästigungen durch unkontrollierten Stuhlabgang komme. Da dann auch seine Kleidung sowie der Rollstuhl (Bezug
und Rückenlehne) beschmutzt würden, sei es dann nicht mehr ausreichend, eine Toilette aufzusuchen. Er müsse sich komplett
entkleiden, duschen und frische Wäsche anziehen. Ebenfalls müsse er den Sitzkissenbezug und eventuell die Rückenlehne des
Rollstuhls austauschen. Dies sei bei öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich. Auch könne er nicht einen kompletten Satz
Wechselbekleidung mitführen. Andererseits habe er nur ein Sitzkissen und eine Rückenlehne für den Rollstuhl. Bei öffentlichen
Veranstaltungen seien, wenn überhaupt, nur "Dixi"-Toiletten vorhanden. Diese könne er aber nicht benutzen. Eine Katheterung
sei zudem ein medizinischer Eingriff in den Körper, bei dem keine Keime in die Blase gelangen dürften. Dies müsse er deshalb
in einer möglichst sterilen Umgebung vornehmen. Auch die Angst und die Unsicherheit darüber, dass es jederzeit zu einem unkontrollierten
Stuhl- oder Harnabgang kommen könne, belaste ihn psychisch nicht unbeträchtlich. Um diese Belastung zu vermeiden, besuche
er keine öffentlichen Veranstaltungen.
Der im Termin nicht erschienene und nicht vertretene Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. August 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. November
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest und sieht sich durch die Ausführungen des SG bestätigt.
Am 23. Juli 2010 hat vor dem LSG mit den Beteiligten ein Erörterungstermin stattgefunden. In diesem hat der Kläger über eine
berufliche Tätigkeit in der Verwaltung der Bundespolizei mit 30 Stunden pro Woche berichtet. Das Dienstgebäude sei aufwändig
umgebaut worden, sodass er auch jederzeit eine Toilette aufsuchen könne.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte den Rechtsstreit in Abwesenheit des Klägers entscheiden, weil dieser ordnungsgemäß zum Termin geladen und
in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§
110 Abs.
1 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Die gemäß §
143 SGG statthafte Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Der Beklagte hat zu Recht den Bescheid vom 31. Mai 2002 aufgehoben das
Merkzeichen RF ab 1. Dezember 2007 entzogen. Die angefochtenen Bescheide sowie der Gerichtsbescheid des SG Dessau-Roßlau vom
17. August 2009 verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§
54 Abs.
2 SGG).
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine isolierte Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
1 SGG gegen einen belastenden Verwaltungsakt. Bei der Anfechtungsklage bezieht sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Bescheide auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids am 5. Februar 2009 (vgl. Bundessozialgericht
[BSG], Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02 R mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung). Damit ist unerheblich, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers nach Erlass
des Widerspruchbescheids verschlechtert hat. Dies ist nicht Streitgegenstand und bedarf daher auch keiner weiteren Sachaufklärung.
Die angefochtenen Bescheide sind formell rechtmäßig. Insbesondere ist die nach § 24 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) erforderliche Anhörung zum Entzug des Merkzeichens RF mit Schreiben vom 19. Oktober 2007 erfolgt.
Die materielle Ermächtigungsgrundlage finden die vom Kläger angefochtenen Bescheide in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. In der Zeit zwischen Erlass dieses Bescheids
vom 31. Mai 2002 und dem Widerspruchbescheid vom 5. Februar 2009 ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
eingetreten, die die Vergabe des Merkzeichens RF nicht mehr rechtfertigt. Zwar leidet der Kläger weiterhin an einer neurogenen
Blasen- und Mastdarmstörung. Allerdings rechtfertigen diese Erkrankungen nicht mehr die Vergabe des Merkzeichens RF, da in
der Zeit vom 1. Juni 2002 bis 5. Februar 2009 (Zeitraum zwischen Erlass des Bewilligungsbescheids vom 31. Mai 2002 und des
Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2009) nach den beigezogenen Unterlagen der BG Kliniken B. eine sichere Kontinenz der
neurogenen Blasen- und Mastdarmstörung eingetreten ist. Die sich aus der Erkrankung ergebenden Funktionsstörungen haben sich
damit im Sinne einer Besserung wesentlich geändert.
Anspruchsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens RF ist §
69 Abs.
4 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (
SGB IX), wonach die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale feststellen, die Voraussetzung für
die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Hierzu gehören auch die landesrechtlich festgelegten
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, bei deren Erfüllung in den Schwerbehindertenausweis
das Merkzeichen RF einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung [SchwbAwV]). Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen ist dann für die Rundfunkanstalt, die über eine Befreiung
zu entscheiden hat, bindend (BSG, Urteil vom 8. November 2007, B 9/9a SB 3/06 R, SozR 4-1500 §
155 SGG Nr. 2 Abs. 26 unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung des BSG). In § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Rundfunkstaatsvertrages vom 31. August 1991 in der Fassung des Art. 5 Nr. 6 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher
Staatsverträge vom 8. bis 15. Oktober 2004 in Verbindung mit dem Gesetz zu dem Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag Sachsen-Anhalt
vom 9. März 2005 (GVBl. LSA 2005, 122) sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
ab 1. April 2005 geregelt. Danach werden behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigsten 80 beträgt und die
wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht
befreit.
Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF sind die in Nr. 33, S. 141 f. aufgeführten Kriterien
der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2004 weiterhin heranzuziehen, auch wenn die Nr. 33 in den Anhaltspunkten
2008 nicht mehr aufgeführt ist und auch keine Aufnahme in die Versorgungsmedizin-Verordnung gefunden hat. Allein deren weitere Anwendung gewährleistet die im Interesse der Gleichbehandlung der behinderten Menschen
gebotene gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe. Nach Nr. 33 der Anhaltspunkte 2004 sind die Voraussetzungen immer erfüllt
bei behinderten Menschen mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen
können. Hierzu gehören behinderte Menschen:
bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung)
- bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl)
öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können,
die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung abstoßend oder störend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei
unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen
bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können),
mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose,
nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten
in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden,
geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen
durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Dieser Personenkreis muss allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme
an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen bestimmter Art verbietet. Behinderte Menschen, die noch in nennenswertem
Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfüllen die Voraussetzungen nicht. Die Berufstätigkeit eines behinderten
Menschen ist in der Regel ein Indiz dafür, dass öffentliche Veranstaltungen - zumindest gelegentlich - besucht werden können,
es sei denn, dass eine der vorgenannten Behinderungen vorliegt, die bei Menschenansammlungen zu unzumutbaren Belastungen für
die Umgebung oder den Betroffenen führt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher,
unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit
nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl.
BSG, Urteil vom 12. Februar 1997, 9 RVs 2/96, SozR 3-3870 § 4 Nr. 17; Urteil vom 10. August 1993, 9/9a RVs 7/91, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 17. März 1982, 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15, BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der schwerbehinderte Mensch wegen
seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten
Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der schwerbehinderte Mensch praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen
Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann,
seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen,
in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar,
denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht allein nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die
einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung
soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich RF nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich
genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar
sind.
Nach diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens RF bei dem Kläger nicht mehr vor. Der
Kläger geht einer Berufstätigkeit im Umfang von 30 Stunden wöchentlich nach, sodass damit schon ein Indiz dafür gegeben ist,
dass er auch zumindest gelegentlich öffentliche Veranstaltungen besuchen kann. Die persönliche Klageerhebung in der Rechtsantragsstelle
des SG Desssau-Roßlau und die Teilnahme am Erörterungstermin vor dem LSG in Halle bestätigen, dass der Kläger gerade nicht im Sinne
der Rechtsprechung des BSG an das Haus gebunden ist, sondern unter Nutzung seines Rollstuhls eigenständig am öffentlichen Leben teilhaben kann.
Auch die neurogene Blasen- und Mastdarmstörung schließt ihn nicht von öffentlichen Veranstaltungen aus. Eine von ihm ausgehende
Geruchsbelästigung für die Umgebung lässt sich anhand der zahlreichen Epikrisen der BG Kliniken B. H. nicht begründen. Nach
diesen Unterlagen liegt im Alltag eine sichere Kontinenz vor. Die Blasenstörung wird durch die mehrmals täglich durchzuführenden
Katheterungen ausgeglichen. Zur Sicherheit trägt der Kläger teilweise tagsüber ein Kondumurinal, sodass keine Harninkontinenz
mit Geruchsbelästigungen für die Umgebung vorliegt. Soweit er auf die ihm nicht mögliche Katheterung auf öffentlichen Toiletten
verweist, besteht die Möglichkeit, für den begrenzten Zeitraum der öffentlichen Veranstaltung Windelhosen als Hilfsmittel
zu nutzen (so zuletzt BSG, Beschluss vom 17. August 2010, B 9 SB 32/10 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats vom 12. Februar 1997, 9 RVs 2/96, SozR 3-3870 § 4 Nr. 17). Auch die Mastdarmstörung rechtfertigt nicht die Vergabe des Merkzeichens RF, denn dadurch auftretende
Geruchsbelästigungen sind nicht nachgewiesen. Auch der Kläger selbst räumt nunmehr eine gewisse Regelmäßigkeit zwischen den
Stuhlentleerungen ein. Nach den Ausführungen in den Epikrisen der BG Kliniken B. H. wird die Mastdarmstörung durchgängig als
ausgeglichen dargestellt. Zwischen den alle vier bis fünf Tage erfolgenden Stuhlentleerungen besteht sichere Kontinenz. Zudem
wird der Kläger durch die geringer werdende Spastik und ein Schwitzen im Bauchbereich auf die bevorstehende Stuhlentleerung
aufmerksam, sodass er nicht völlig davon überrascht wird. Seine weiteren Argumente stehen einer Teilnahme an öffentlichen
Veranstaltungen auch nicht entgegen. Eine psychische Erkrankung in Verbindung mit der Befürchtung, es könnte von ihm eine
Geruchsbelästigung ausgehen, die deshalb einer Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen entgegenstehen könnte, ist nicht
nachgewiesen. Der Hinweis des Klägers auf fehlende Hilfsmittel (Ersatzbezug für den Rollstuhl bzw. nur eine Rückenlehne) ist
für die Vergabe des Merkzeichens RF nicht relevant, da dies keine behinderungsbedingte Einschränkung ist. Die Mitnahme von
Wechselbekleidung erscheint im Übrigen nicht unzumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.