Anrechnung von Pflegegeld auf Mehrbedarf - Unterhaltsbestimmung bei Naturalleistungen - Bindung der Zivilgerichte an Härteentscheidung
des Sozialhilfeträgers
Tatbestand:
Die klagende Stadt (in Rheinland-Pfalz) macht als Trägerin der Sozialhilfe gemäß § 90
BSHG auf sie übergeleitete Unterhaltsansprüche des am 12. Juni 1955 geborenen schwerbehinderten Jürgen D. gegen die Beklagte geltend.
Jürgen D. ist der Sohn der Beklagten aus deren geschiedener Ehe. Er lebt bei der Beklagten. Wegen der Folgen einer zerebralen
Kinderlähmung kann er allenfalls einige Schritte allein gehen. Erhebliche Koordinationsstörungen im Bereich der Arme und Beine
lassen ihn Handlungen, die eine aufeinander abgestimmte Motorik erfordern, nicht ausführen. Er ist deshalb sowohl bei der
körperlichen Reinigung als auch beim Anziehen auf die Hilfestellung anderer angewiesen. Ferner liegt bei ihm ein Schwachsinn
mittleren Grades vor. Die Beklagte arbeitet als Angestellte bei einer Bundesbehörde und erzielt ein durchschnittliches monatliches
Nettoeinkommen von ca. 2.500 DM. Der Vater von Jürgen D. ist verstorben.
Das Sozialamt der Klägerin gewährt Jürgen D. seit 1. Januar 1983 Hilfe zum Lebensunterhalt. Hierüber unterrichtete es die
Beklagte durch Rechtswahrungsanzeige vom 4. Januar 1983. Mit Bescheid vom 29. Mai 1984 leitete es die Jürgen D. gegen die
Beklagte zustehenden Unterhaltsansprüche rückwirkend zum 1. Januar 1983 bis zu einer Höhe von monatlich 216,75 DM auf die
Klägerin über. Hiergegen legte die Beklagte Widerspruch ein. Während des Widerspruchsverfahrens hob das Sozialamt mit Schreiben
vom 21. August 1984 die Beschränkung auf den genannten Betrag auf und behielt sich vor, die nach seiner Auffassung bestehenden
Unterhaltsansprüche im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Am 18. Oktober 1985 wies der Stadtrechtsausschuß der Klägerin den
Widerspruch der Beklagten zurück.
Im Jahre 1986 erhob die Klägerin gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von monatlich 216,75 DM für die
Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. Dezember 1985. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten blieb im wesentlichen
erfolglos (veröffentlicht in FamRZ 1989, 331). Daraufhin erhob die Beklagte vor dem Verwaltungsgericht Klage auf Feststellung, daß ihre Inanspruchnahme durch die (jetzige)
Klägerin auf Zahlung von Unterhalt für ihren Sohn wegen der auf sie anzuwendenden Schutzbestimmung des § 91 Abs. 3
BSHG unzulässig sei. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin übergeleitete Unterhaltsansprüche für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 28. Juli
1989 in Höhe von insgesamt 16.469 DM geltend. In dieser Zeit hat das Sozialamt der Klägerin an Jürgen D. laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt in Höhe von 26.644,12 DM, einmalige Beihilfen in Höhe von 1.329,92 DM und Hilfe zur Pflege gemäß § 69
BSHG in Höhe von monatlich 106 DM geleistet. Daneben hat Jürgen D. Pflegegeld in Höhe von monatlich 750 DM nach dem Landespflegegeldgesetz
Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 1974 - LPflGG (GVBl. S. 466) sowie einen monatlichen Zuschuß zu den Telefonkosten in Höhe
von 22 DM erhalten. Aus seiner Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt hat er in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 31. August
1987 ein durchschnittliches monatliches Eigeneinkommen von 272,20 DM erzielt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei bei ihrem Einkommen verpflichtet, einen monatlichen Anteil von 383 DM an
der gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt zu zahlen. Sie sei nur ihrem Sohn unterhaltspflichtig und erhalte wegen dessen Behinderung
eine Erhöhung des Ortszuschlags und steuerliche Vergünstigungen. Der sich aus beidem für sie ergebende finanzielle Vorteil
entspreche dem geltend gemachten Betrag.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Die Beklagte verteidigt das
angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe:
1. Das Oberlandesgericht führt aus, der Bedarf des Sohnes betrage monatlich 1.910 DM. Dieser Betrag setze sich aus dem Normalbedarf
eines volljährigen Kindes in Höhe von monatlich 750 DM sowie aus einem erhöhten Pflegebedarf von 960 DM und einem weiteren
behinderungsbedingten Mehrbedarf von 200 DM monatlich zusammen.
Von diesem Unterhaltsbedarf werde ein Betrag von 750 DM monatlich durch den Bezug von Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz
gedeckt. Als weiteres Einkommen sei die an Jürgen D. gezahlte Hilfe zur Pflege nach § 69
BSHG in Höhe von monatlich 106 DM anzusehen. Ferner sei das während der Zeit seiner Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt vom
1. Januar 1986 bis 31. August 1987 erzielte eigene Einkommen Jürgens in Höhe von durchschnittlich 272,20 DM monatlich abzuziehen.
Auf seinen Bedarf seien schließlich die Pflegeleistungen, die die Beklagte persönlich sowie unter unentgeltlicher Mithilfe
ihres Lebenspartners erbracht habe, mit einem Wert von 835 DM monatlich anzurechnen. Für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 31.
August 1987 verbleibe damit kein offener Bedarf, da dem monatlichen Gesamtbedarf von 1.910 DM eigene Einkünfte Jürgens (einschließlich
Pflegeleistungen) in Höhe von monatlich 1.963,20 DM gegenüberstünden.
Für die Zeit vom 1. September 1987 bis 28. Juli 1989 errechne sich hingegen ein ungedeckter Bedarf Jürgens von 219 DM monatlich
(1.910 DM - 750 DM - 106 DM - 835 DM). Diesen Betrag könne die Klägerin jedoch nicht verlangen, da die Inanspruchnahme der
Beklagten insoweit eine Härte im Sinne des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG bedeute. Eine dahingehende Entscheidung zu treffen, sei dem Berufungsgericht nicht verwehrt, da die Klägerin über die Realisierung
des übergeleiteten Anspruchs, die einen zu begründenden anfechtbaren Verwaltungsakt erfordere, keine ausreichende Entschließung
getroffen habe.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Teilen stand.
a) Der vom Berufungsgericht im Anschluß an den Vortrag der Klägerin festgestellte monatliche Gesamtbedarf des Sohnes in Höhe
von 1.910 DM wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.
b) Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht das von Jürgen D. bezogene Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz
bedarfsdeckend angerechnet hat. Damit bleibt die Revision ohne Erfolg.
Sozialleistungen sind im privaten Unterhaltsrecht grundsätzlich wie sonstiges Einkommen zu behandeln, soweit sie geeignet
sind, den allgemeinen Lebensunterhalt zu decken, es sei denn, sie sind subsidiär (vgl. Senatsurteile vom 21. Januar 1981 -
IVb ZR 548/80 - FamRZ 1981, 338 und vom 25. Februar 1987 - IVb ZR 36/86 - FamRZ 1987, 456, 458 m.N.). Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz stellt keine nachrangige Sozialleistung dar, sondern wird Schwerbehinderten
ohne Rücksicht auf ihr Einkommen gewährt. Das Gesetz enthält keinen entsprechenden Vorbehalt. Seiner Entstehungsgeschichte
ist zu entnehmen, daß davon bewußt Abstand genommen wurde. Da Sachleistungen und persönliche Hilfe, die der Schwerbehinderte
benötigt, im Verhältnis zur Situation des Nichtbehinderten einen erheblichen Mehraufwand erfordern, wurde es aus Gründen sozialer
Gerechtigkeit für geboten angesehen, den Schwerbehinderten durch staatliche Leistungen in die Lage zu versetzen, diesen Mehraufwand
zu bestreiten. Dieses Ziel sollte durch die Gewährung eines Pflegegeldes erreicht werden, das unter dem Gesichtspunkt der
Chancengerechtigkeit ohne Berücksichtigung von Einkommen oder Vermögen geleistet wird (Begründung des Gesetzentwurfs, Landtag
Drucks. 7/2727 Vorblatt sowie S. 9). Macht der Pflegebedürftige einen Unterhaltsanspruch geltend, so muß er sich das Pflegegeld
jedenfalls auf seinen behinderungsbedingten Mehrbedarf anrechnen lassen (vgl. auch Senatsurteil vom 5. Juni 1985 - IVb ZR 24/84 - FamRZ 1985, 917, 919; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 4. Aufl. Rdn. 491; a.A. Palandt/Diederichsen,
BGB 51. Aufl. §
1602 Rdn. 9). Dem steht auch §
1610a
BGB nicht entgegen.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich aus der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Satz 2 LPflGG, wonach Leistungen aus bürgerlich-rechtlichen
Unterhaltsansprüchen auf das Pflegegeld nicht angerechnet werden, nichts Gegenteiliges. Solche Unterhaltsansprüche wurden
von der Anrechnung ausgenommen, um den nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen nicht schlechter zu stellen als den Schwerbehinderten
selbst (Begründung des Gesetzentwurfs aaO. S. 11, zu § 6). Eine derartige Schlechterstellung träte jedoch ein, verneinte man
die Anrechnung des Pflegegeldes auf den behinderungsbedingten erhöhten Unterhaltsbedarf. Unter welchen Voraussetzungen ein
Teil des Pflegegeldes, der über die Deckung des Pflegeaufwands hinausginge, auf den allgemeinen Lebensbedarf angerechnet werden
könnte, kann auf sich beruhen, da dieser Fall nicht vorliegt.
c) Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, die gewährte Hilfe zur Pflege nach § 69
BSHG (106 DM) sei anrechenbares Einkommen des Sohnes, mit folgender Erwägung begründet: Zwar handele es sich bei der Hilfe zur
Pflege um eine subsidiäre Sozialleistung, die grundsätzlich nicht zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen zähle. Dies
gelte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit bestehe, Vorleistungen nach Überleitung
des entsprechenden Unterhaltsanspruchs zurückzufordern. Sei diese Möglichkeit aber nicht gegeben, so ende die Subsidiarität.
Die Leistung verbleibe dem Empfänger dann endgültig. Bei anderer Betrachtungsweise habe der Unterhaltsberechtigte die Möglichkeit,
seinen Bedarf zusätzlich gegenüber dem Unterhaltspflichtigen geltend zu machen, der leisten müsse, obwohl der Sozialhilfeträger
von seiner Inanspruchnahme abgesehen habe. Vorliegend sei eine Überleitung wegen der Jürgen gewährten Hilfe zur Pflege durch
das Sozialamt der Klägerin nicht erfolgt.
Gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision zu Recht.
Wie unter 2 b bereits ausgeführt, stellen die einem Unterhaltsberechtigten gewährten Sozialleistungen keine Einkünfte dar,
die seine Unterhaltsbedürftigkeit mindern, wenn die Leistungen nur subsidiär gewährt werden und Vorleistungen nach Überleitung
des entsprechenden Unterhaltsanspruchs vom Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert werden können. Hiernach hat auch die Hilfe
zur Pflege, die einem Unterhaltsbedürftigen nach § 69
BSHG geleistet wird, auf dessen Unterhaltsanspruch grundsätzlich keinen Einfluß; sie mindert seine Bedürftigkeit im Verhältnis
zum Unterhaltspflichtigen nicht und gehört nicht zu den Einkünften im Sinne von §
1602 Abs.
1
BGB (vgl. Senatsurteil vom 25. Februar 1987 aaO.).
In Einschränkung dieses Grundsatzes wird die Auffassung vertreten, eine Anrechnung der Sozialhilfeleistung auf den Unterhaltsanspruch
komme ausnahmsweise in Frage, wenn ein Rückgriff der Behörde beim Unterhaltspflichtigen mangels Überleitungsmöglichkeit ausgeschlossen
sei (
BGB-RGRK/Mutschler, 12. Aufl. vor §
1601 Rdn. 23 m.N.; Göppinger, Unterhaltsrecht 5. Aufl. Rdn. 218; Kalthoener/Büttner aaO. Rdn. 501; OLG Schleswig FamRZ 1985, 68 f; wohl auch OLG Hamm FamRZ 1987, 742 f). Der Senat hat die Frage bisher nicht zu entscheiden brauchen (vgl. Urteil vom 25. Februar 1987 aaO. S. 458). Der wiedergegebenen
Auffassung ist der Bundesgerichtshof nunmehr - nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung - durch Urteil vom 1. Oktober 1991
- VI ZR 334/90 - BGHZ 115, 228, 231 f unter Hinweis auf die Systematik des BSHG und die Entstehungsgeschichte des 3. Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes, das die Überleitungsbefugnis in
§ 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG zugunsten Unterhaltsverpflichteter eingeschränkt hat, entgegengetreten. Dieser Entscheidung des VI. Zivilsenats schließt
sich der erkennende Senat jedenfalls für die Fälle an, in denen - wie hier - einer Überleitung des Unterhaltsanspruchs des
Hilfeempfängers ein gesetzliches Überleitungsverbot nicht entgegensteht. Die fernliegende Möglichkeit, daß bei fehlender Anrechenbarkeit
ein Unterhaltsberechtigter trotz gewährter Sozialhilfe Unterhaltsansprüche gegen einen Verpflichteten geltend machen könnte,
vermag an der gesetzlich normierten Subsidiarität der Sozialhilfe nichts zu ändern. Im übrigen dürfte einem solchen Begehren
der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Unterhaltsrecht gilt (Senatsurteile vom 28. November 1990 - XII ZR 16/90 - FamRZ 1991, 306, 307 und vom 9. Juli 1992 - XII ZR 57/91 - zur Veröffentlichung vorgesehen - m.w.N.), entgegenstehen.
In dieser Beurteilung liegt keine Abkehr von der Rechtsprechung des Senats, nach der er es gebilligt hat, daß gewährtes Pflegegeld
mit dem durch die Versorgung des Pflegebedürftigen nicht verbrauchten Teil der Pflegeperson für die Zwecke des Unterhaltsrechts
als eigenes Einkommen zugerechnet worden ist (Senatsurteile vom 18. April 1984 - IVb ZR 80/82 - FamRZ 1984, 769, 771 f; vom 15. Oktober 1986 - IVb ZR 78/85 - FamRZ 1987, 259, 261, insoweit teilweise in BGHZ 98, 353, 354 nicht abgedruckt). Denn es geht nicht um die unterhaltsrechtliche Beziehung der Pflegeperson zu einem Dritten, sondern
um den Unterhaltsanspruch des Pflegebedürftigen selbst.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die gewährte Hilfe zur Pflege sei anrechenbares Einkommen des Sohnes Jürgen, kann
deshalb keinen Bestand haben.
d) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht die Pflegeleistungen des Lebenspartners der Beklagten
wie deren eigene Pflegeleistungen angesehen und auf den Bedarf Jürgens angerechnet hat. Allerdings berühren freiwillige Leistungen
Dritter, auf die der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch hat, im allgemeinen seine Bedürftigkeit nicht. Anderes gilt jedoch,
wenn der Dritte seinen Willen zum Ausdruck bringt, mit seinen Leistungen den Unterhaltsverpflichteten zu entlasten (BGH, Urteil
vom 26. September 1979 - IV ZR 87/79 - FamRZ 1980, 40, 42;
BGB-RGRK/Mutschler aaO. §
1602 Rdn. 4, 5; MünchKomm/Köhler,
BGB 3. Aufl. §
1602 Rdn. 13; Kalthoener/Büttner aaO. Rdn. 464; Göppinger/Kindermann aaO. Rdn. 1076).
Letzteres ist hier der Fall. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die Pflegeleistungen
des Partners der Beklagten deren Entlastung dienen sollen. Es ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, daß es diese Pflegeleistungen
auf den Bedarf des Sohnes in gleicher Weise angerechnet hat, wie die Pflegeleistungen der Beklagten selbst.
e) Mit Recht wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht das Vorliegen einer Härte im Sinne des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG selbständig beurteilt hat.
Das Berufungsgericht stützt eine dahingehende Befugnis darauf, daß die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwischen
der Überleitung als solcher und der Realisierung des übergeleiteten Anspruchs unterscheide. Dem Sozialhilfeträger sei es gestattet,
sich zunächst auf eine Überleitung dem Grunde nach zu beschränken und die Bezifferung des Anspruchs später vorzunehmen. Einer
Überleitung dem Grunde nach müsse aber eine Bezifferung folgen, durch die erst der Überleitungsvorgang abgeschlossen werde.
Liege nur eine Überleitung dem Grunde nach vor, die die Grenzen der Inanspruchnahme des Schuldners noch offenlasse, sei der
Zivilrichter nicht durch die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts gehindert, im Wege einer Vorfragenprüfung zugunsten des
Schuldners die öffentlich-rechtlichen Schutzbestimmungen anzuwenden.
Im vorliegenden Fall habe das Sozialamt über die Inanspruchnahme der Beklagten nicht entschieden. In der Überleitungsanzeige
vom 29. Mai 1984 sei zwar bestimmt gewesen, daß die Unterhaltsansprüche des Sohnes bis zur Höhe von monatlich 216,75 DM rückwirkend
ab 1. Januar 1983 auf die Klägerin übergeleitet würden. Während des Widerspruchsverfahrens habe das Sozialamt mit Bescheid
vom 21. August 1984 die Bezifferung aufgehoben. Damit habe nur noch eine Überleitung dem Grunde nach vorgelegen. Der Widerspruchsbescheid
des Stadtrechtsausschusses vom 18. Oktober 1985 habe hieran nichts geändert. Denn in diesem sei lediglich über die Rechtmäßigkeit
der Überleitungsanzeige vom 29. Mai 1984 in der Gestalt des Bescheides vom 21. August 1984 entschieden worden, der keine Bezifferung
mehr enthalten habe. Soweit im Widerspruchsbescheid dargelegt werde, daß das Sozialamt die Sollvorschrift des § 91 Abs. 3
BSHG beachtet habe, könne dies die Entscheidung über die Inanspruchnahme schon deshalb nicht ersetzen, weil weiterhin eine Bezifferung,
die erst eine konkrete Härteprüfung beinhalte, fehle. Dem Berufungsgericht sei daher die Prüfung, ob die Inanspruchnahme der
Beklagten für sie eine Härte bedeute, eröffnet.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
aa) Die Überleitungsanzeige des Sozialamts vom 29. Mai 1984 hat den Unterhaltsanspruch des Sohnes gegen die Beklagte in Höhe
der geleisteten Hilfe zum Lebensunterhalt auf die Klägerin übergeleitet. Mängel der Überleitungsanzeige liegen nicht vor.
Die Überleitungsanzeige ist schriftlich abgefaßt und begründet, bezeichnet den überzuleitenden Anspruch und - zusammen mit
der Rechtswahrungsanzeige - die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt (BVerwGE 42, 198, 200). Die Klägerin ist mithin forderungsberechtigte Gläubigerin, wenn und soweit der übergeleitete Anspruch gegen die Beklagte
besteht (BGHZ 94, 141, 142).
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Träger der Sozialhilfe die Überleitung als solche und die
Realisierung (Inanspruchnahme des Unterhaltsverpflichteten) trennen (BVerwGE 34, 219, 223; 42, 198, 200; 58, 209, 210). Letztere umfaßt die Prüfung, ob eine Inanspruchnahme nach § 91 Abs. 1 Satz 2 BSHG und nach § 91 Abs. 3
BSHG gerechtfertigt ist. Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle wird im Einzelfall dadurch bestimmt, ob der Träger
der Sozialhilfe die Inanspruchnahme unter dem Aspekt »Härte« zusammen mit der Überleitung geregelt hat oder nicht (BVerwGE
58 aaO.). Fehlt es an einer Prüfung der Härte in der Überleitungsanzeige (Überleitung dem Grunde nach), so wird allerdings
für die Geltendmachung des Anspruchs neuerdings ein weiterer (rechtsmittelfähiger) Bescheid über den Umfang der Überleitung
(Höhe) gefordert (OVG Lüneburg ZfF 1989, 108 f m. Anm. Giese ZfF 1989, 193; VG Hannover FamRZ 1989, 905 f; Künkel FamRZ 1991, 14, 24 m.w.N.; Schellhorn FuR 1990, 20, 27 m.w.N.; OLG Hamburg FamRZ 1991, 1298, 1299).
cc) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann hier offenbleiben. Denn es liegt keine Überleitungsanzeige lediglich »dem Grunde
nach« vor, vielmehr hat das Sozialamt in der Überleitungsanzeige die Bestimmung des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG erwogen, jedoch eine »Härte« im Sinne dieser Vorschrift verneint.
Der Überleitungsbescheid vom 29. Mai 1984 führt auf S. 3 und 4 eingehend aus, weshalb die Schutzvorschrift des § 91 Abs. 3
BSHG die Inanspruchnahme der Beklagten nicht ausschließe. Zwar mochte es wegen der späteren Aufhebung der Bezifferung des beanspruchten
Unterhaltsbeitrags durch das Schreiben vom 21. August 1984 und dessen Formulierung, »daß die Herrn Jürgen D. gemäß §§
1601 ff
BGB zustehenden Unterhaltsansprüche dem Grunde nach rückwirkend vom 01. 01. 83 an auf die Stadt K. als örtlichen Träger der Sozialhilfe
übergeleitet werden«, für die Beklagte zweifelhaft geworden sein, ob die Behörde gleichwohl an der Verneinung einer Härte
im Sinne des § 91 Abs. 3
BSHG festhielt. Ein etwaiger dahingehender Zweifel wurde jedoch spätestens mit dem Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1985 des
Stadtrechtsausschusses beseitigt, der dazu ausführt:
... »Abgesehen davon hat das städtische Sozialamt aber auch die Soll-Vorschrift des § 91 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG beachtet, wonach von der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Eltern abgesehen werden soll, soweit einem Behinderten nach
Vollendung des 21. Lebensjahres Eingliederungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege gewährt wird. Denn wie sich aus der
Überleitungsanzeige eindeutig ergibt, ist die Überleitung ausschließlich bezüglich der dem Sohn der Wf gewährten Hilfe zum
Lebensunterhalt, nicht jedoch bezüglich der ihm gewährten Hilfe zur Pflege ausgesprochen worden. Auch im übrigen liegen Anhaltspunkte
für die Annahme einer Härte im Falle der Inanspruchnahme der Widerspruchsführerin, wie sie z.B. im Falle einer Entfremdung
zwischen Unterhaltsberechtigtem und Unterhaltsverpflichtetem oder im Falle einer vorangegangenen Vernachlässigung des Unterhaltsverpflichteten
durch den Unterhaltsberechtigten oder auch im Falle einer nachhaltigen Störung des Familienfriedens durch Überleitung eines
geringfügigen Betrags angenommen werden kann, nicht vor.«
... Die Klägerin hat damit mit der Überleitungsanzeige vom 29. Mai 1984 i.d. Fassung des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober
1985 über das Fehlen einer Härte im Sinne des § 91 Abs. 3
BSHG entschieden und die Inanspruchnahme der Beklagten bejaht. Die Überleitungsanzeige ist deshalb keine »Überleitung lediglich
dem Grunde nach«.
Den Widerspruchsbescheid hat die Beklagte nicht angefochten. Er ist deshalb bestandskräftig geworden. Damit steht für die
Zivilgerichte bindend fest, daß es keine Härte im Sinne des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist, den übergeleiteten Unterhaltsanspruch gegenüber der Beklagten geltend zu machen (Senatsurteil vom 9. Oktober 1991 -
XII ZR 171/90 - FamRZ 1992, 306, 307). Darauf, daß die Bescheide vom 29. Mai 1984 und 18. Oktober 1985 keine »Bezifferung« des übergeleiteten Anspruchs enthalten,
kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht an. Soweit darin eine Fehlerhaftigkeit der Bescheide zu sehen wäre,
weil die Festlegung der Höhe des anzufordernden Unterhaltsbetrags Teil der »Härteprüfung« sei, führte dies keinesfalls zu
ihrer Nichtigkeit, sondern lediglich zu ihrer Anfechtbarkeit. Da die Beklagte den Widerspruchsbescheid jedoch nicht angefochten
hat, bleiben die Zivilgerichte auch für diesen Fall an die Bescheide der Klägerin gebunden (BGHZ 4, 68, 71 f; 73, 114, 117). Dem Berufungsgericht ist es deshalb verwehrt, die Frage einer Härte im Sinne des § 91 Abs. 3
BSHG abweichend von den genannten Bescheiden der Klägerin zu beurteilen (vgl. auch Zöller/Gummer,
ZPO 17. Aufl. §
13
GVG Rdn. 45). Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann deshalb auch in diesem Punkt nicht bestehenbleiben.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, §
563
ZPO. Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung der grundsätzlich auf Zahlung einer Geldrente gerichtete Unterhaltsanspruch
des Sohnes (§
1612 Abs.
1 Satz 1
BGB) nicht durch eine wirksame Bestimmung der Beklagten in einen Anspruch auf Leistung von Naturalunterhalt geändert worden.
Zwar gilt das Bestimmungsrecht der Eltern nach §
1612 Abs.
2 Satz 1
BGB auch für die Unterhaltsgewährung nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes (Senatsurteil vom 3. Dezember 1980 - IVb ZR 537/80 - FamRZ 1981, 250, 251). Ihrem Inhalt nach muß eine solche Bestimmung jedoch den gesamten Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes umfassen
(Senatsurteile vom 9. Februar 1983 - IVb ZR 354/81 - FamRZ 1983, 369 und vom 26. Oktober 1983 - IVb ZR 14/83 - FamRZ 1984, 37, 38). Eine solche Bestimmung liegt nicht vor, wenn Eltern - wie hier die Beklagte - sich zu einzelnen Betreuungs- und Pflegeleistungen
bereit erklären und diese erbringen, die Art der Erfüllung des übrigen Unterhalts aber offenlassen (vgl. auch Soergel/Häberle,
BGB 12. Aufl. §
1612 Rdn. 11). In einem solchen Verhalten kann regelmäßig lediglich das Verlangen des Unterhaltsverpflichteten gesehen werden,
die Gewährung von Unterhalt in anderer Weise als durch Zahlung einer Geldrente gestattet zu erhalten (§
1612 Abs.
1 Satz 2
BGB), dem der Unterhaltsberechtigte durch Entgegennahme der Naturalleistung zustimmt. In dieser Weise hat auch hier die Beklagte
dem Sohn mit dessen Einverständnis Unterhalt durch persönliche Fürsorge erbracht. Dadurch war jedoch der festgestellte Unterhaltsbedarf
nicht in vollem Umfang gedeckt.
4. Die Leistungsfähigkeit der Beklagten während der Zeit, für die Unterhalt begehrt wird, hat das Berufungsgericht festgestellt;
sie wird auch von der Revisionserwiderung nicht in Abrede gestellt.
5. Der Senat kann selbst abschließend entscheiden, §
565 Abs.
3 Nr.
1
ZPO. Der Anspruch der Klägerin errechnet sich wie folgt:
1. Januar 1986 bis 31. August 1987 (20 Monate):
1.910 DM - 750 DM - 272, 20 DM - 835 DM = 52,80 DM.
52,80 DM x 20 = 1.056 DM.
1. September 1987 bis 30. Juni 1989 (22 Monate):
1.910 DM - 750 DM - 835 DM = 325 DM.
325 DM x 22 = 7.150 DM.
1. Juli 1989 bis 28. Juli 1989 (28 Tage):
325 DM: 31 x 28 = 293,55 DM.
Insgesamt: 1.056,00 DM + 7.150,00 DM + 293,55 DM = 8.499, 55 DM.
Hinzu kommen die begehrten Zinsen in Höhe von 4% ab Rechtshängigkeit (§§
291,
288
BGB).